INVEST ALPHA
„In Deutschland herrscht ein etwas eigentümliches Risikoverständnis“
Die VolkswagenStiftung ist eine der größten Stiftungen und wichtigste private Wissenschaftsförderin Deutschlands. Bei der Vermögensanlage setzt sie konsequent auf Diversifikation und Disziplin. Dieter Lehmann, Leiter der Vermögensanlage und Mitglied der Geschäftsleitung, erläutert die Investmentstrategie.
Mit Dieter Lehmann sprachen Ralf Lochmüller und Dejan Saravanja. Redaktion Anna-Maria Borse
leitwolf: Herr Lehmann, die Volkswagen-Stiftung ist keine klassische Unternehmensstiftung. In welcher Beziehung steht Ihre Stiftung zum Volkswagen-Konzern?
Dieter Lehmann: Die Verbindung zum Konzern liegt in der Gründungsgeschichte: Nach dem Krieg war die Rechtsnachfolge des Volkswagenwerks unklar. Letztlich wurden die Bundesrepublik und das Land Niedersachsen als Rechtsnachfolger festgelegt, die dann das Werk privatisiert und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt haben. Mit dem Erlös wurde 1961 die Stiftung gegründet. Daraus resultieren noch zwei Verbindungen zu Volkswagen: Uns fließen die Dividenden aus den mit der Gründungshistorie zusammenhängenden VW-Aktien des Landes Niedersachsen zu und in unserem Kuratorium sitzt noch ein Vorstandsmitglied von Volkswagen.
leitwolf: Sie verwalten ein Stiftungskapital von 3,5 Mrd. Euro. Welche Ziele verfolgen Sie in der Kapitalanlage?
Dieter Lehmann: Unser Ziel ist erstens die Erwirtschaftung von Fördermitteln – und zwar über ordentliche Erträge, also vor allem Zinsen, Dividenden und Mieten. Zweitens ist der Vermögenserhalt zu gewährleisten, bei uns real, also nach Inflation. Drittens müssen die Kosten des laufenden Geschäftsbetriebs gedeckt werden, also etwa für Gehälter oder Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Strategie ist dabei sehr langfristig ausgerichtet, denn Stiftungen sind „auf Ewigkeit“ errichtet. Ein konkretes Renditeziel haben wir nicht, die VolkswagenStiftung hat aber 2005 freiwillig eine Zielhöhe für die „Allgemeine Förderung“, also ex VW-Dividenden, von 50 bis 60 Mio. Euro pro Jahr festgelegt. Unter Berücksichtigung der Inflation sind das aktuell 65 bis 78 Mio. Euro.
Dejan Saravanja, Senior Relationship Manager bei Lupus alpha, im Gespräch mit Dieter Lehmann.
leitwolf: Welche Rendite konnten Sie so in den letzten Jahren erzielen?
Dieter Lehmann: Zwischen 1990 und 2019 haben wir eine Performance von gut 6 % im Jahr erzielt. 2019 waren es 17,5 %, das war das zweitbeste Ergebnis in 30 Jahren. Das Erfreuliche dabei ist: Je höher die Rendite, desto mehr Geld kann in die Förderung von Wissenschaft und Wissenschaftlern fließen.
leitwolf: Wie sieht derzeit Ihre Aufteilung nach Anlageklassen aus?
Dieter Lehmann: Derzeit halten wir rund 41 % in Aktien, 46 % in Renten, 12 % in Immobilien und 1 % in Private Equity. Wir verfolgen die Idee der Portfolio-Theorie nach Harry Markowitz: Je mehr Diversifikation, desto höher die Wahrscheinlichkeit für ein positives Gesamtergebnis. Dabei nehmen wird auch hin, dass es positive und negative Teilergebnisse gibt, und halten das auch aus. Außerdem haben wir einen Core-Satellite-Ansatz mit Euro-Anlagen als Kern sowie Fremdwährungsanlagen als Satelliten.
leitwolf: Wie verfolgen Sie das Ziel Diversifikation?
Dieter Lehmann: Wir setzen auf Korrelationsanalysen, und zwar nach geografischen Gesichtspunkten, nicht nach Branchen. Im Aktienbereich schauen wir uns zum Beispiel an, welcher Index die Spezifika einer Region besonders gut abbildet und wie dieser Index mit unseren anderen Anlagen korreliert. Wir kennen die Schwächen der Korrelationsanalyse, doch unserer Erfahrung nach funktioniert Diversifikation auf dieser Ebene sehr gut.
leitwolf: Welche Rolle spielen aktive bzw. passive Anlagen?
Dieter Lehmann: Aktives Management wäre in diesem Ansatz ein Widerspruch, denn dann kämen wir zu anderen Korrelationen. Es gibt aber Ausnahmen, etwa bei europäischen Small Caps – derzeit unser einziges aktiv gemanagtes Mandat. Dafür gibt es einen objektiven Grund: Ein passives Engagement in europäischen Small Caps ist schwierig, es fehlt an Liquidität. Würde man ganz darauf verzichten, brächte man sich aber um die Chancen und das Alpha-Potenzial in diesem Bereich. Im Rentenbereich verfahren wir ähnlich. Im Bereich Immobilien haben wird drei Beteiligungsgesellschaften mit Direktanlagen, aus Diversifikationsgründen in Größenordnungen von 10 bis 25 Mio. Euro pro Einheit.
leitwolf: Sie sprachen von Ihrer langfristigen Ausrichtung. Reagieren Sie auch auf aktuelle Geschehnisse?
Dieter Lehmann: Taktische Allokationen sind bei uns sehr selten. So haben wir von Dezember 2018 bis Mai 2019 die Aktienquote leicht angehoben, da wir den Rückgang am Markt für nicht gerechtfertigt hielten. Auch jetzt in der Corona-Krise haben wir unsere Aktienquote geringfügig erhöht. Außerdem reagieren wir bei Ereignissen, die die Gesetze des Marktes außer Kraft setzen. Zum Beispiel haben wir uns nach dem Brexit-Votum 2016 fast vollständig aus Großbritannien und nach dem Tod von Nelson Mandela 2012 komplett aus Südafrika zurückgezogen. In solchen außergewöhnlichen Phasen kann Diversifikation nicht mehr funktionieren.
Dieter Lehmann erläutert Ralf Lochmüller, Gründungsgesellschafter und CEO von Lupus alpha, seine Anlagestrategie.
leitwolf: Durch das Nullzinsumfeld ist es sehr schwierig geworden, mit festverzinslichen Anlagen noch Renditen zu erzielen. Haben Sie Ihre Anlagestrategie anpassen müssen?
Dieter Lehmann: Wir kaufen seit vielen Jahren keine Bundesanleihen oder Pfandbriefe mehr und sind ausgewichen auf andere europäische Länder, die USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Schwellenländer, und zwar in Lokalwährungen. Währungsrisiken sichern wir nicht ab, denn höhere Zinsniveaus erhält man nur, wenn man genau das nicht macht. Außerdem haben wir unsere Ratinganforderungen behutsam gesenkt von BBB auf BB-. Unsere Erfahrung ist, dass unterhalb des Investment Grade-Bereichs die Angebotspalette viel größer wird und die Titel nicht unbedingt schlechter sind. In diesem Bereich ergibt sich oft ein kleines Fenster mit guten Opportunitäten. Und wir haben, oft mit Unbehagen, die Laufzeiten erhöht – angesichts der immer weiter fallenden Zinsen die richtige Entscheidung.
leitwolf: Wie können Stiftungen mit den besonderen Herausforderungen der Niedrigzinsen umgehen?
Dieter Lehmann: Wir haben in Deutschland über 20.000 Stiftungen, die meisten davon sind – anders als in den USA – sehr klein. Viele dieser Stiftungen hoffen nicht mehr auf laufende Erträge, sondern setzen auf Spenden. Das kann noch eine Weile funktionieren. Als Leiter des Arbeitskreises Stiftungsvermögen beim Bundesverband Deutscher Stiftungen ermutige ich Stiftungen aber auch, es anders zu machen. Das Problem ist jedoch oft, dass die Ehrenamtlichen, die in diesen Stiftungen arbeiten, selten Know-how im Finanzbereich haben. In ihren Köpfen ist fest verankert: nur nicht risikoreich anlegen, nur keine Aktien. Das macht eine vernünftige, ausgewogene Anlagestrategie schwierig.
leitwolf: Was raten Sie?
Dieter Lehmann: In Deutschland herrscht ein etwas eigentümliches Risikoverständnis. Spricht man von risikobehafteten Anlagen, meint man immer Aktien. Das Bonitätsrisiko von Anleihen wird dagegen völlig ausgeblendet. Das gilt auch für den Gesetzgeber. Als Stiftung bin ich grundsätzlich zwei Kernrisiken ausgesetzt: dem Volatilitäts- und dem Bonitätsrisiko. Das Volatilitätsrisiko kann ich, wenn ich auf Ewigkeit ausgerichtet bin, aushalten. Schwankungen spielen langfristig keine Rolle, Bonitäten aber schon. Ich würde mir hier ein Umdenken wünschen, ansonsten werden viele Stiftungen auf Dauer ein Problem bekommen.
leitwolf: Welche Bedeutung hat das Thema Nachhaltigkeit für Ihre Stiftung?
Dieter Lehmann: Nachhaltigkeit ist für uns schon lange ein wichtiges Thema. Seit vielen Jahren haben wir im eigenen Bestand nur Aktien von Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften. Es gibt auch eine Kriterienliste von Dingen, die wir nicht machen, etwa den Kauf von Aktien von Herstellern geächteter Waffen oder Agrarrohstoffen. Wir haben uns auch aus dem Aktienverleih komplett zurückgezogen, als wir festgestellt haben, dass Hedgefonds geliehene Aktien für Spekulationszwecke einsetzen. Vor zwei Jahren haben wir zudem ein eigenes Screeningverfahren entwickelt, im Aktienbereich basierend auf einem Nachhaltigkeitstool von Reuters. Farben von Tiefrot bis Dunkelgrün signalisieren, wie Unternehmen Nachhaltigkeitskriterien einhalten. Wenn ein Portfolio in den gelben oder gar roten Bereich rutscht, wissen wir: Es gibt ein Problem. Dann können wir gegebenenfalls handeln.
leitwolf: Herr Lehmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Persönlicher Austausch über den Dächern von Hannover: Dieter Lehmann mit Ralf Lochmüller und Dejan Saravanja.
Fotos/Illustrationen: Markus Kirchgessner