„Ein guter Asset Manager zeichnet sich durch Innovationsfähigkeit aus“

Ein immer größerer Anteil der liquiden Mittel des Volkswagen Konzerns wird am Kapitalmarkt angelegt. Dabei verzichtet Dr. Jörg Boche, der das Group Treasury des Autobauers leitet, bewusst auf Direktinvestments. Stattdessen setzt er auf Fonds und konzentriert sich auf das Managen von Managern.

Mit Dr. Jörg Boche sprachen Ralf Lochmüller und Dejan Saravanja.
Protokolliert von Anna-Maria Borse. Fotos von Markus Kirchgessner

leitwolf: Herr Dr. Boche, als Leiter des Konzern-Treasury von Volkswagen verantworten Sie mehrere Bereiche. Können Sie diese näher erläutern?

Dr. Jörg Boche: Auf der einen Seite verwalten wir im Group Treasury die liquiden Mittel des VW Konzerns, auf der anderen den Pensions- und den Zeitwertfonds für die Mitarbeiter. Dabei gibt es einen wesentlichen Unterschied: Der Treasury-Bereich ist letztlich Ersatz für kurzfristige Bankanlagen, während im Pensions- und Zeitwertbereich langfristig angelegt wird. Mit Blick auf den permanenten Verfall der Renditen am Geldmarkt bis hin zu Negativzinsen und aufgrund von Counterparty-Risiken haben wir den Anteil der Gelder, die wir am Kapitalmarkt in Spezialfonds anlegen, in den vergangenen Jahren deutlich auf über 50 % erhöht.

leitwolf: Ihre liquiden Mittel legen Sie ausschließlich über Fonds an. Warum?

Dr. Jörg Boche: Vor meiner Zeit wurde direkt investiert, ich habe mich aber dagegen entschieden. Da ich selbst einen Asset Management-Hintergrund habe, weiß ich, welcher Personalaufwand dafür erforderlich ist. Für Direktanlagen brauchen Sie eine sehr umfangreiche Abteilung mit Mitarbeitern, die die Wertpapiere analysieren und managen. Das sehe ich für uns als Industrie-Treasury nicht als Kernkompetenz. Daher konzentrieren wir uns auf das Managen der Manager und nicht das Managen der Assets. Dieses Outsourcing machen die großen US-Unternehmen, die viel Liquidität haben, übrigens auch so.

leitwolf: Wie sind Ihre Performance-Erwartungen und Ihr Risikobudget im Treasury-Bereich?

Dr. Jörg Boche: Das Corporate Cash muss permanent und vollständig verfügbar sein, da das Unternehmen in eine Notlage kommen kann oder wenn Investitionen anstehen. Daraus ergeben sich bestimmte Zielsetzungen. Das Risikobudget ist relativ eng, bei uns liegt es bei 5 %. Bei den Renditeerwartungen zielen wir auf EURIBOR plus 200 Basispunkte ab. Außerdem akzeptieren wir höchstens eine Volatilität von 150 Basispunkten.

Dr. Jörg Boche ist seit 2008 Head of Group Treasury des Volkswagen Konzerns und Generalbevollmächtigter der Volkswagen AG. Zuständig ist er für die liquiden Mittel der Volkswagen Group und den Pensions- sowie den Zeitwertfonds. Begonnen hat Boche seine Karriere 1993 bei Goldman Sachs, darauf folgten Stationen bei der Commerzbank und der Dresdner Bank. Vor seinem Wechsel zu VW war er für vier Jahre Head of Portfolio Management bei der R+V Versicherung. Der FC Bayern-Fan wurde nach dem Studium an der Universität München (Abschluss M. A.) an der Johns Hopkins University/Washington, D. C. in Economics/International Relations promoviert.

leitwolf: Würden Sie im Rahmen des Niedrigzinsumfeldes eine Anpassung des maximalen Verlustes von 5 % in Betracht ziehen?

Dr. Jörg Boche: Wir sind ganz vernünftig durch die vergangenen Jahre gekommen und haben positive Renditen erzielt. Insofern sehe ich keinen Anpassungsbedarf. Außerdem darf man nie vergessen: Es handelt sich um Cash-Substitute.

leitwolf: Haben Sie auch über den letzten Anlagezyklus hinweg Ihre Renditeziele erreichen können?

Dr. Jörg Boche: Im Schnitt haben wir das, allerdings nicht in jedem Jahr. Über die vergangenen acht, neun Jahre waren wir ziemlich zufrieden mit der Performance. Uns ist aber bewusst, dass diese Zeit von der Erholung nach der Finanzkrise geprägt war. Es gab keine großen, globalen Krisen.

leitwolf: Im Treasury-Bereich setzen Sie auf Strategie-Diversifikation, nicht auf Asset-Diversifikation. Asset-Klassen kann man genau definieren, Strategien gibt es aber extrem viele. Wie trennen Sie die Spreu vom Weizen?

Dr. Jörg Boche: Das ist der interessanteste Teil der Aufgabe. Die Korrelationen von Asset-Klassen und Ländern sind stark gestiegen. Daher muss man neue Diversifikationsquellen für sich erschließen, also konkret unterschiedliche Managerstile, die dann im Portfolio kombiniert werden. Wir beobachten genau, wie sich die Korrelationsmatrix über die Zeit entwickelt und wie unterschiedliche Stile im Portfolio-Kontext wirken. Das heißt, dass man manchmal auch einen Asset Manager wegen einer niedrigen Korrelation auswählt. Die Suche nach Stilen sehe ich als eine Art Kreativitätswettbewerb. Das ist ein sehr buntes Universum.

„Die Suche nach Stilen sehe ich als eine Art Kreativitätswettbewerb.“

leitwolf: Sie arbeiten mit kleinen und großen Häusern zusammen. Gibt es da Unterschiede – gerade mit Blick auf die Qualität?

Dr. Jörg Boche: Ich sehe die Asset Management-Industrie als Feld, auf dem permanent neue Ideen entwickelt werden, der Wettbewerb ist sehr intensiv. Wir setzen uns mit ganz vielen verschiedenen Ideen auseinander. Ein guter Asset Manager zeichnet sich durch Innovationsfähigkeit aus und dadurch, dass er gute Ideen umsetzen und das Ganze auch transparent darstellen kann. Daran orientieren wir uns. Tendenziell bevorzugen wir dabei die kleineren Boutiquen. Entscheidend ist letztlich aber die Kompetenz und Kreativität der Mitarbeiter.

leitwolf: Wie groß ist Ihr Pool an Asset Managern? Steht ein Asset Manager für eine Asset-Kategorie?

Dr. Jörg Boche: Unser Pool besteht derzeit aus rund 20 Asset Managern. Es ist sicher nicht so, dass ein Manager für eine Asset-Kategorie steht, vielmehr steht jeder nur für seinen eigenen Stil. Breite Kategorien, wie etwa Volatilitätsstrategien, können durchaus gebildet werden. Innerhalb dieser sind die Unterschiede aber groß.

leitwolf: Die Auswahl von Asset Managern ist auch Betätigungsfeld von Consultants. Nehmen Sie deren Beratung in Anspruch?

Dr. Jörg Boche diskutiert seinen Investmentansatz mit Gründungspartner Ralf Lochmüller und Senior Relationship Manager Dejan Saravanja.

Dr. Jörg Boche: Wir hatten die Auswahl ursprünglich ausgelagert, seit einigen Jahren machen wir es selber. Das heißt konkret: Alle Asset Manager werden einmal im Jahr besucht, damit wir uns vor Ort ein persönliches Bild machen können. Ich halte das für extrem wichtig. Manager mit operativen Problemen bzw. Risiken oder Manager, die Dinge tun, die nicht im Vertrag stehen, wären eine große Gefahr für uns. Wir haben es meist mit kleineren Häusern zu tun, da kann das durchaus ein Thema sein. Hellhörig werde ich vor allem, wenn meine Mitarbeiter mir sagen: „Wir verstehen nicht, wie der Asset Manager vorgeht.“ Wir wollen schon begreifen, was passiert.

leitwolf: Wie oft tauschen Sie Asset Manager aus?

Dr. Jörg Boche: Wir wechseln Asset Manager nicht gleich aus, wenn es einmal nicht so gut läuft. Wir wechseln sie sogar relativ selten aus – eher passen wir die Gewichtung an. Es muss schon viel passieren, bis wir uns trennen. Es gibt aber manchmal Manager, die in einem bestimmten Kapitalmarktumfeld nicht mehr zurechtkommen oder nach einer schwierigen Phase Dinge tun, die sie eigentlich nicht tun sollten. Das ist immer das ultimative Warnsignal.

leitwolf: Wie gehen Sie beim Management Ihrer Pensions- und Zeitwertfonds vor? Welche Ziele verfolgen Sie in diesem Bereich?

Dr. Jörg Boche: Hier geht es traditioneller zu, mit klassischen Buy-and-hold-Strategien und einer breiten Portfolio-Diversifikation. Wir setzen auch auf Aktien inklusive Small & Mid Caps. Interessant ist hier die Frage aktives oder passives Management. Wir haben festgestellt, dass wir bei der Mehrheit der aktiven Mandate ein positives Alpha generieren. Daher machen wir die Bewegung hin zu reiner Indexorientierung nicht mit. Wenn aktive Manager allerdings kein Alpha mehr produzieren würden, würden wir das natürlich ändern.

leitwolf: Im Pensionsbereich stehen langfristige Ziele und eine breite Diversifikation im Vordergrund. Spielt da für Sie das Risikobudget auch eine Rolle?

Dr. Jörg Boche: Ja, auch hier haben wir ein Risikobudget, da es eine gewisse Orientierung an der Jahresperiode gibt. Etwa müssen Mittel aus dem Zeitwertfonds Mitarbeitern bei Bedarf zur Verfügung stehen. Eine ausschließlich langfristige Betrachtung reicht deshalb nicht aus.

leitwolf: Wie ist das Verhältnis der liquiden zu den illiquiden Asset-Klassen im Pensionsfonds?

Dr. Jörg Boche: Der Anteil illiquider Anlagen liegt bei weniger als 20 %. Das Vermögen der Yale-Stiftung, die einen großen Teil ihrer Mittel in Immobilien und Private Equity investiert, ist das Gegenmodell. Für dieses braucht man aber eine Expertise, die wir schlicht nicht haben. Das Yale-Modell ist weniger replizierbar, als die meisten glauben.

leitwolf: Auch wenn die Zinsen aktuell gestiegen sind, befinden sie sich auf einem niedrigen Niveau. Wie stehen Sie zu Aktien?

Dr. Jörg Boche: Wir haben an den Aktienmärkten bereits hohe Bewertungen erreicht. Die Phase der aggressiven Geldpolitik dürfte vorbei sein. Ich kann mir schon vorstellen, dass dieser Übergang zu Verwerfungen führen wird. Der zweite große Regimewechsel, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, betrifft die Handelspolitik. Wir könnten in eine Phase der Deglobalisierung kommen. Das wird Konsequenzen haben für multinationale Unternehmen. Anpassungen an den Märkten sind aber normal und keine Katastrophe. Man sollte nur darauf vorbereitet sein und auch über andere Arten des Investierens nachdenken. Momentan ist nicht die Zeit für große Risikopositionen, es ist eher eine Zeit, in der man abwartet und akzeptieren muss, dass die Erträge eine Weile nicht mehr ganz so hoch sein werden.

leitwolf: Herr Dr. Boche, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Volkswagen AG

Der Volkswagen Konzern mit Sitz in Wolfsburg ist der weltweit größte Hersteller von Autos und Nutzfahrzeugen. Zum Konzern gehören neben der Kernmarke VW auch Audi, Seat, Škoda, Porsche, Bentley, Bugatti und – unter anderem mit MAN – der Nutzfahrzeugbereich Volkswagen Truck & Bus. Die Beschäftigtenzahl liegt bei über 600.000.

Im Group Treasury werden die liquiden Mittel des VW Konzerns verwaltet, hinzukommt das Management des Pensions- und des Zeitwertfonds, in den Mitarbeiter Arbeitszeit oder Arbeitsentgelt für eine spätere bezahlte Freistellung einbringen können. Auf den Bereich Treasury entfallen derzeit knapp 14 Milliarden Euro, auf die Pensions- und Zeitwertfonds etwas mehr als 7 Milliarden Euro.

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