„Wir wissen auch, was wir nicht wissen“

Vor Jahren hat Kanada seinem Rentensystem eine umfassende Aktienkomponente hinzugefügt, um die Altersversorgung finanzierbar zu halten. Die Pensionsgelder von 22 Millionen Kanadiern verwaltet seither CPP Investments (CPPI). Maximilian Biagosch, Global Head of Real Assets & Head of Europe, erläutert im Interview den aktiven, risikoadjustierten Management-Ansatz der Gesellschaft.

Mit Maximilian Biagosch sprach Claudia Wanner

leitwolf: Herr Biagosch, das kanadische Rentensystem gilt als vorbildhaft. Was ist das Besondere an dem System?

Maximilian Biagosch: Kanada hat bei der Altersvorsorge das gleiche Problem wie fast alle Länder weltweit: Die demografische Pyramide kehrt sich schrittweise um. Noch lassen sich die Rentenverpflichtungen mit den Einzahlungen der Erwerbstätigen finanzieren, aber es ist seit Langem klar, dass wir uns resilienter aufstellen müssen. Die kanadische Regierung hat dieses Problem bereits Mitte der 1990er-Jahre angepackt mit einem Ansatz, der ziemlich einmalig ist. Der Grundgedanke war, dass Kanada ein sehr rohstoffreiches Land ist. Die Erträge dieses Reichtums sollten nicht nur der aktuellen Generation zugutekommen, sondern auch der Altersvorsorge künftiger Generationen dienen. Dabei handelt es sich um einen echten Generationenvertrag, den die Kanadier damals aufgesetzt haben: Der Kapitalstock wird monatlich gespeist mit verpflichtenden Zahlungen der Erwerbstätigen. Von den Vorteilen des Pensionsfonds werden voraussichtlich jedoch erst ihre Kinder und Kindeskinder voll profitieren.

leitwolf: Welche Rolle spielt CPPI dabei?

Maximilian Biagosch: CPPI hat den Auftrag, dieses Vermögen für die Altersvorsorge anzulegen. Dabei streben wir eine maximale Rendite an, ohne übermäßige Risiken einzugehen. Gestartet ist der Fonds Ende der 1990er-Jahre, übrigens als passiver Indexfonds mit einem sehr risikoaversen Portfolio, hauptsächlich investiert in kanadische Staatsanleihen. Mitte der 2000er-Jahre erfolgte die Umstellung auf eine aktive, risikoreichere Anlagestrategie, ein echter Alpha-Fonds, global diversifiziert. Inzwischen ist dieser Fonds 650 Mrd. kanadische Dollar schwer, 440 Mrd. davon wurden mithilfe des aktiven Managements erwirtschaftet. Wir gehen davon aus, dass wir in den kommenden fünf bis acht Jahren die Schwelle von einer Billion überschreiten werden. Unser Ziel ist es, in den nächsten 15 Jahren einen so großen Kapitalstock zu erwirtschaften, dass wir zukünftig eventuelle Fehlbeträge in der Altersvorsorge allein aus den Renditen finanzieren können, anstatt auf das Kapital zurückgreifen zu müssen.

„Da, wo wir nicht zu den Besten im Markt gehören, arbeiten wir mit Partnern zusammen.“

leitwolf: Sie sind in den letzten Jahren beeindruckend gewachsen. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?

Maximilian Biagosch: In den letzten zehn Jahren haben wir eine annualisierte Rendite von 9,1 Prozent erwirtschaftet, das ist ganz vernünftig. Wir investieren sehr, sehr langfristig. 58 Prozent unseres Vermögens sind derzeit aktiv in Aktien und Private Equity angelegt. Hinzu kommen 13 Prozent Credit, 12 Prozent Fixed Income, 9 Prozent Infrastruktur und 8 Prozent Immobilien. Mit unseren Anlagestrategien sind wir zu 88 Prozent weltweit über fast alle Kontinente hinweg investiert, nur 12 Prozent sind im Moment in Kanada angelegt. Dabei wissen wir, was wir wissen. Aber wir wissen auch, was wir nicht wissen. Da, wo wir nicht zu den Besten im Markt gehören, arbeiten wir mit Partnern zusammen, die in den Bereichen besondere Kompetenz haben.

leitwolf: Mit welchem Zeithorizont planen Sie? Wie wirkt sich das auf die Vermögensallokation aus?

Maximilian Biagosch: Wir denken nicht in Vierteljahren, sondern in Vierteljahrhunderten. Das bringt uns auch in turbulenten Börsenzeiten nicht unter Verkaufsdruck. Das langfristige Risikoprofil gibt unser leitender Aktuar vor. Wir bauen ein globales Portfolio, das die Renditen für dieses Risiko optimiert. Dieses Benchmark-Portfolio versuchen wir dann mithilfe unserer aktiven Strategien zu übertreffen. Dabei setzen wir auch auf weniger liquide Anlagen wie Private Equity, Credit, Infrastruktur und Immobilien. Da wir nicht immer überall geeignete Investitionen finden, kann zum perfekten Portfolio ein Fehlbetrag entstehen. Diesen gleichen wir mithilfe eines liquiden Balancing-Portfolios aus. Typischerweise haben wir 30 bis 40 Prozent unseres Vermögens in liquiden Instrumenten, was uns erlaubt, schnell auf Marktveränderungen zu reagieren.

Maximilian Biagosch ist seit 2015 bei CPP Investments. Seit drei Jahren verantwortet er im Vorstand aus London die Anlagen in Real Assets und das Europageschäft. Der studierte Jurist, gebürtig aus Bayern, kam vom Private-Equity-Spezialisten Permira Advisors zu dem kanadischen Pensionsfonds. Zuvor war er unter anderem für BNP Paribas und die Deutsche Bank tätig. Mit seiner Frau und drei Kindern lebt er seit mehr als 20 Jahren in der britischen Hauptstadt.

leitwolf: Wie unabhängig sind Sie als Dienstleister für staatliche Altersversorgung in Ihren Entscheidungen?

Maximilian Biagosch: Wir sind unabhängig, denn unser Auftrag ist ein reines Anlagemandat. Das ist wichtig, denn wir haben wirklich ausschließlich die Aufgabe, das Geld der Kanadier zu optimalen Renditen mit akzeptablen Risiken zu investieren. Wir dienen keinen politischen Zielen, wir deckeln keine Fehlbeträge in der Staatskasse, wir unterwerfen uns nicht den Interessen der Regierung. Entscheidend ist in dem Zusammenhang auch, dass wir als privates Unternehmen organisiert sind. Wir haben einen professionellen Aufsichtsrat ohne Politiker oder andere Funktionäre. Wir zahlen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht wie ein Staatskonzern, sondern wie ein privatwirtschaftlicher Vermögensverwalter. Das erlaubt uns, erstklassige Talente anzuziehen und zu halten.

leitwolf: Sie haben die Kooperation mit Partnern erwähnt. Wie wichtig sind externe Manager in Ihrer Strategie?

Maximilian Biagosch: Rund 20 Prozent unseres Vermögens werden nicht von uns, sondern über Investmentpartner gemanagt. Für alle aktiven Anlagestrategien haben wir durch unsere global aufgestellte Organisation mit Büros weltweit zwar die Kompetenz und die Kapazitäten, selbst Investments auszusuchen. Wir arbeiten trotzdem fast überall auch mit Partnern zusammen, weil wir wissen, dass wir nicht immer und überall die Besten sind. Unsere Partner können uns Expertise bereitstellen und Zugang eröffnen, wo wir das selbst nicht können. Im Private-Equity-Bereich nutzen wir dabei bevorzugt echte strategische Partnerschaften. Wir teilen uns die Kontrolle, investieren gemeinsam mit unseren Partnern. Dabei kommen unterschiedliche Partner in Frage – Family Offices, Corporates, Local Sponsors. Deren Expertise hilft uns besonders in schwierigen Anlageklassen oder Regionen, Risiken zu begrenzen.

leitwolf: Wo sehen Sie aktuell gute Chancen für Investitionen?

Maximilian Biagosch: Unser Ansatz ist nicht sektoral oder regional. Entscheidend sind für uns große Trends und gesellschaftliche Themen. Eines davon ist generative KI. Davon profitieren natürlich die üblichen Verdächtigen wie die großen Tech-Konzerne in den USA, bekannt als Magnificent Seven. Wir schauen uns aber auch an, wie Energieversorger mit großen Datenzentren davon profitieren. Dazu kommen Immobilienentwickler, die diese Datenzentren bauen, Infrastrukturinvestitionen in die Stromnetze, Investitionen in neue Energiequellen, Spieler in der weiteren KI-Wertschöpfungskette. In all diesen Bereichen sehen wir uns nach attraktiven Anlagegelegenheiten um, ohne uns auf einzelne Sektoren oder Regionen zu beschränken.

„Was uns an Europa besonders inte­ressiert, ist die Komplexität.“

leitwolf: Europas Kapitalmärkte hatten zuletzt nur wenige Fans. CPP Investments ist eine Ausnahme. Was macht Europa für Sie attraktiv?

Maximilian Biagosch: Die Innovationskraft Europas ist gut. Zahlreiche interessante Unternehmen und Assets sind hier zu Hause, darunter viele globale Champions. Was uns an Europa besonders interessiert, ist die Komplexität. Sie ist strukturell bedingt mit den zahlreichen relativ kleinen Ländern und unterschiedlichen Sprachen, Kulturen und Rechtssystemen. Dazu kommt ein Kapitalmarkt, der weniger homogen, ausgereift und transparent ist als in den USA. Viele internationale Investoren schreckt das ab. Uns aber nicht, weil wir mit Teams schon lange vor Ort sind und die Strukturen verstehen. Wir haben in Europa einschließlich Großbritannien rund 120 Mrd. kanadische Dollar investiert und das Portfolio hat sich ausgesprochen gut entwickelt.

leitwolf: Wie steht Deutschland in diesem Umfeld da?

Maximilian Biagosch: Wir glauben, dass Investitionen in Deutschland angemessene, risikoadjustierte Anlagemöglichkeiten bieten. Deshalb sind wir hier investiert. In Zukunft könnten sich noch deutlich mehr Chancen ergeben. Wir sehen in Deutschland einen erheblichen Nachholbedarf in der Infrastruktur, ob bei Energienetzen, Straßen, Kommunikation oder Transport ganz allgemein. Die Regierung ist sich dessen bewusst und weiß, dass sich das nicht allein aus öffentlichen Mitteln finanzieren lässt. Ich bin zuversichtlich, dass sie den richtigen Rahmen schaffen wird, um internationale Investoren an der Finanzierung zu beteiligen.

leitwolf: Handelskrieg zwischen den USA und China, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten – Geopolitik hat zuletzt Klimaziele in der öffentlichen Wahrnehmung zurückgedrängt. Wie wichtig sind Net Zero, Emissionen und Biodiversität für Ihre Anlagestrategie?

Maximilian Biagosch: Wir haben ein klares Investmentmandat, kein Klima- oder Nachhaltigkeitsmandat. Was unsere Governance betrifft, haben wir uns selbst kompromisslose Standards gesetzt, die weltweit gelten. Nachhaltigkeit spielt für uns aber auch ansonsten eine wichtige Rolle, denn wir suchen nach den besten Investmentgelegenheiten. Das sind typischerweise Assets, die klimaresilient sind. Beispiel Immobilien: Wir scannen unser großes Portfolio ganz aktiv auf Klimarisiken. In Regionen, in denen außerordentliche Wettervorfälle wahrscheinlicher werden, trennen wir uns im Zweifel von Investitionen oder preisen entsprechende Risiken ein.

leitwolf: In Deutschland wird seit Jahren immer wieder ein Rentensystem mit stärkerer Aktienkomponente diskutiert. Kanada blickt auf über 25 Jahre Erfahrung mit seinem Rentenmodell zurück. Was sind Ihre Empfehlungen an die deutsche Politik für ein überarbeitetes System der Altersversorgung?

Maximilian Biagosch: Größe ist ein wichtiger Faktor, das heißt einen Kapitalpool aufzubauen, mit dem es sich im globalen Wettbewerb erfolgreich sein lässt. Ein großes Anlageportfolio schafft besseren Zugang zu Investmentmöglichkeiten. Globale Diversifikation benötigt zudem eine globale Infrastruktur und die kostet Geld. Ganz wichtig ist auch die Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme. Eine gewisse finanzielle Ausstattung gehört ebenfalls dazu, schließlich konkurrieren wir mit den ganz großen internationalen Vermögensverwaltern um die besten Anlagespezialisten. Wir sind uns aber sehr bewusst, dass sich diese Anforderungen nicht in jedem Land politisch durchsetzen lassen und ein echter Generationenvertrag nicht überall auf Akzeptanz stößt.

leitwolf: Vielen Dank für das Interview!

Der Sinnstifter

Klar, Rendite ist sehr wichtig. Aber entscheidend sei auch, sich mit der Aufgabe zu identifizieren, 22 Millionen Kanadiern eine gesicherte Altersvorsorge zu garantieren, betont Maximilian Biagosch. Mit vielen von diesen Pensionsberechtigten habe er selbst viel Zeit verbracht, um deren Ansprüche und Erwartungen zu verstehen. Die Sinnhaftigkeit seiner Aufgabe sei ein besonderes Privileg, dessen er sich wohl bewusst sei. Auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei CPP Investments sei das ein wichtiges Differenzierungsmerkmal. Ausgleich vom Job sucht Biagosch unter anderem in der Natur: beim Wintersport, auf dem Surfbrett, beim Wandern im Hoch­gebirge. „Alles, was ein bisschen weh tut, aber sich am Abend richtig gut anfühlt“, umreißt er seine bevorzugten Sportarten. Daneben liegen ihm Kunst und Kultur am Herzen, Theater, Ausstellungen und Kunstsammlungen. Inspiration bekommt er dabei nicht zuletzt aus seiner eigenen Familie: Biagoschs Neffe mit gleichem Namen betreibt eine Galerie in Düsseldorf.

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