Warum europäische Nebenwerte eine Renaissance erfahren

Nachdem europäische Small & Mid Caps in den letzten Jahren nicht gerade Anlegers Liebling waren, ist das Segment nun wieder ins Blickfeld der Anleger gerückt. Trotz des unsicheren weltwirtschaftlichen Umfelds steht den kleinen und mittleren Unternehmen ein Zyklus mit guten Wachstumsaussichten bevor. Grund dafür sind nicht zuletzt die steigenden Infrastruktur- und Rüstungsausgaben in Europa.

Von Marcus Ratz

Durch geopolitische Risiken, konjunkturelle Unsicherheiten und handelspolitische Konflikte haben Aktienanleger zuletzt hochliquide Aktien präferiert, was zu einer Konzentration auf Large Caps und insbesondere US-Technologiewerte geführt hat. Der Künstliche-Intelligenz(KI)-Boom seit Anfang 2023 und die damit verbundene Kursrallye der Magnificent Seven verstärkte diese Entwicklung noch.

Durch die Zurückhaltung der Investoren gegenüber Small & Mid Caps befinden sich die Bewertungen der Unternehmen aus der zweiten Reihe in Europa auf historisch niedrigem Niveau. Sie notieren derzeit mit einem Abschlag von rund 25 Prozent auf ihr langfristiges, durchschnittliches Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 14,4 und einem Discount von knapp 30 Prozent auf Large Caps. Zwar hat das Sentiment Anfang 2025 begonnen zu drehen, dennoch ist für kleine und mittlere Werte noch viel Luft nach oben. Bevor wir der Erholung des Segments aber trauen, wollen wir etwas genauer hinschauen. Was spricht für den weiteren Aufschwung von europäischen Small & Mid Caps?

Infrastruktur- und Rüstungsprogramme sorgen für Wachstumsimpulse

Da sich Europa militärisch nicht mehr auf die Allianz mit den USA verlassen kann und dringend für seine eigene Verteidigungsfähigkeit sorgen muss, hat die EU einen Rüstungsplan verabschiedet, wonach im kommenden Jahr 800 Milliarden Euro für die Verteidigung bereitgestellt werden sollen. Gleichzeitig will Deutschland mit seinem im März verabschiedeten Infrastrukturpaket massiv investieren – bis zu 500 Milliarden Euro innerhalb von zwölf Jahren in den Schienenverkehr, in die digitale Infrastruktur, in Energienetze und in den Klimaschutz. Hinzu kommt die Lockerung der Schuldenbremse, die eine Kreditaufnahme für Vertei­digungsausgaben über ein Prozent des BIP ermöglicht. Dies sollte das Wirtschaftswachstum im Euroraum deutlich ankurbeln und die rezessiven Kräfte infolge der US-Zollpolitik überkompensieren.

Marcus Ratz ist Partner und Portfolio-Manager bei Lupus alpha

Small & Mid Caps profitieren von „Zweitrundeneffekten“

Wer bei den Ausgabenprogrammen nur an die offensichtlichen Nutznießer wie Bau- und Rüstungsunternehmen denkt, springt zu kurz: Hinter diesen stehen eine Vielzahl von Zulieferern und spezialisierten Anbietern, die vom steigenden Auftragsvolumen ebenfalls profitieren. Die Wertschöpfungskette ist lang und reicht von Unternehmen mit der industriellen Fertigung von Vorprodukten über Hersteller technischer Komponenten bis hin zu Entwicklern und Planungsunternehmen für Infrastrukturprojekte. Für diese Bereiche ist das Segment der europäischen Small & Mid Caps mit seiner industriellen Basis, die mit rund 30 Prozent deutlich größer ist als bei Large Caps, geradezu ideal positioniert.

Es muss nicht immer Microsoft sein

Die USA sind im Bereich der generativen KI ohne Frage führend. Das Beispiel DeepSeek hat jedoch gezeigt, dass sich auch mit deutlich geringeren Kosten und Rechenkapazi­täten intelligente Sprachmodelle entwickeln lassen. Auch in Europa gibt es eine ganze Reihe von Firmen, die sich erfolgreich rund um KI positioniert haben. Dabei handelt es sich nicht um die großen, namhaften Konzerne, sondern um kleine und mittlere Unternehmen, die sich auf die nächste Stufe von KI spezialisiert haben, zum Beispiel sogenannte „Enabler“ im Bereich IT- oder R&D-Services sowie im Bereich KI-Applikationen. Hier ist Engineering-Kompetenz gefragt, und da hat traditionell Europa die Nase vorn.

Ende des Ukraine-Krieges in greifbarer(er) Nähe

Die Aufnahme von Gesprächen zwischen den USA, Russland und der Ukraine über ein Ende des Krieges – so umstritten Vorgehensweise und Bedingungen derzeit sein mögen – sind ein positives Signal für die europäischen Kapitalmärkte. Viele Anleger hatten sich nach Ausbruch des Krieges angesichts der geopolitischen Risiken aus dem europäischen Raum zurückgezogen. Nach einem möglichen Kriegsende würde Europa wieder als investierbar gelten und damit als Segment für die Aktienanlage wieder stärker ins Blickfeld der Anleger rücken.

„Europäische Small & Mid Caps sind starke Profiteure der Investitionsprogramme.“

Die Zeichen stehen auf Deregulierung

Der Druck auf die EU, endlich Deregulierungen vorzunehmen, ist in den letzten Monaten stark gestiegen. Die EU-Kommission hat nun ein umfassendes Programm aufgelegt, das bestehende Gesetze vereinfachen soll, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken. Allen voran soll der Green Deal kritisch hinterfragt und die Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sollen abgeschwächt werden. Das ist ein äußerst positives Signal für Europas börsen­notierte Unternehmen und damit auch für die Kapitalmarktanleger.

Small & Mid Caps profitieren schneller von Zinssenkungen

Hilfreich sind auch die sinkenden Zinsen im Euroraum, die die Finanzierung günstiger machen. So wie kleine und mittlere Unternehmen von den stark steigenden Zinsen im Jahr 2022 stärker belastet waren als große Unternehmen, profitieren sie im aktuellen Zinssenkungszyklus nun schneller und stärker als Großunternehmen. Grund dafür ist, dass kleine und mittlere Unternehmen sich vermehrt durch kurzfristige Kredite mit variablen Zinsen refinanzieren, ihre Finanzierungskosten also bereits senken konnten.

Fundamental gut aufgestellt

Nicht zuletzt sind die strukturellen Stärken von Nebenwerten unverändert intakt: Als Marktführer in ihren Nischen verfügen die besten unter ihnen über hohe Gewinnmargen, eine starke Preissetzungsmacht und ein hohes Wachstumspotenzial. Zahlreiche europäische Firmen nehmen Schlüsselpositionen in Zukunftstechnologien und Innovationsfeldern wie Elektrifizierung, Digitalisierung, 3-D-Druck, Robotik und personalisierte Medizin ein, um nur einige zu nennen.

25 Prozent Nebenwerte gehören in jedes Aktienportfolio

Die positiven Katalysa­toren wie sinkende Zinsen und staatliche Ausgabenprogramme sprechen trotz des unsicheren weltwirtschaftlichen Umfelds für eine Renaissance der europäischen Nebenwerte. Doch statt jetzt auf das optimale Timing zu spekulieren, ist es besser, europäische Nebenwerte für die Portfolio-Optimierung strategisch zu berücksichtigen. Denn bereits ein Anteil von 25 Prozent in der europäischen Aktien­allokation ermöglicht es, das Risiko-Rendite-Profil eines Portfolios substanziell zu verbessern.

Wer langfristig in europäische Small & Mid Caps investiert, deckt die gesamte Bandbreite der Wirtschaft mit ihrer Vielfalt an Branchen und Geschäftsmodellen ab und partizipiert gleichzeitig an den langfristigen Kurssteigerungen des europäischen Mittelstands.

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