THINK ALPHA
„Veränderung müssen wir wollen“
Markus Brunnermeier sieht uns am Anfang von vier Jahren mit ständiger Disruption. Der Top-Ökonom lehrt an der renommierten Princeton University Volkswirtschaftslehre. Und er mahnt, dass Deutschland und Europa sich auf diese turbulente Welt vorbereiten müssen, indem sie sich resilienter aufstellen.
Mit Prof. Dr. Markus Brunnermeier sprach Claudia Wanner
leitwolf: Prof. Brunnermeier, politische Umwälzungen, geopolitische Spannungen, Wachstumsbremsen – das schafft seit einigen Jahren ein zunehmendes Maß an Unsicherheit. Wie sollten Volkswirtschaften damit umgehen?
Prof. Markus Brunnermeier: Diese Unsicherheit dürfte nicht nachlassen, so viel ist nach den ersten Monaten der zweiten Trump-Administration klar. Die kommenden Jahre werden sehr viel erratischer werden. Wir stehen am Anfang von vier Jahren der Disruption, ein Großteil der gewohnten Regeln und Abläufe wird hinfällig. Zu Schocks wie Handelskriegen oder Zöllen als politischem Instrument kommen noch erhebliche strukturelle Veränderungen durch Technologien wie die künstliche Intelligenz. Damit entsteht aber natürlich auch eine Vielzahl von Chancen. Hier ist vor allem Anpassungsfähigkeit gefragt. Wir müssen resilient sein, um uns schnell und flexibel auf immer neue Situationen einstellen zu können.
leitwolf: Damit sind wir direkt bei einem Ihrer Forschungsfelder, der Resilienz von Individuen und Systemen. Wie lässt sie sich erreichen?
Markus Brunnermeier: Resilienz ist Anpassung an eine neue Situation. Ein Schock kann zunächst aus der Bahn werfen. Wichtig ist dann, wieder zurückfedern zu einem neuen stabilen Zustand. Dabei geht es nicht darum, zur alten Situation zurückzukehren. Vielmehr müssen wir eine gute Lösung in der neuen Welt finden. Diese Anpassungsfähigkeit können wir fördern. Wer resilient aufgestellt ist, kann selbst einem Schock etwas Positives abgewinnen, schließlich bietet er Chancen, wenn die Weichen richtig gestellt sind. Entscheidend sind die entsprechende Mentalität und geeignete Rahmenbedingungen.
leitwolf: Wie schlägt sich die deutsche Volkswirtschaft in Sachen Resilienz?
Markus Brunnermeier: Deutschland ist in seiner Mentalität sehr stabilitätsorientiert, die Deutschen fühlen sich am wohlsten mit möglichst wenig Veränderung. Aber das ist nicht hilfreich in einer Situation, die durch Disruption gekennzeichnet ist. Auch die schrittweise Verfeinerung von bestehenden Produkten, eine der großen Stärken der deutschen Industrie, die viele Jahre gut funktioniert hat, stößt in diesem Umfeld an ihre Grenzen. Mit dem zögerlichen Ansatz gegenüber Neuem droht Deutschland, droht ganz Europa, den Anschluss zu verlieren in Technologiefragen. Diese sicherheitsorientierte Einstellung müssen wir ändern. Wenn etwas nicht so kommt, wie erwartet, müssen wir schnell umschalten, flexibel und anpassungsfähig sein. Und diese Veränderung müssen wir wollen.
leitwolf: Unsere kulturelle Prägung spielt da eine große Rolle, Veränderung dürfte Zeit brauchen. Haben wir die?
Markus Brunnermeier: Zeit haben wir in der Tat nicht. Aber Deutschland ist das zögerliche Verhalten keineswegs in die Wiege gelegt. Wir hatten im vorletzten Jahrhundert eine Gründerzeit, waren seinerzeit das am schnellsten wachsende Land weltweit und haben innerhalb weniger Jahre England, das frühe Zentrum der industriellen Revolution, eingeholt und überholt. Deutschland war sehr agil, flexibel, anpassungsfähig, liebte Technologie. Diese Fähigkeiten müssen wir wieder wachrufen, wenn wir mithalten wollen. Wir brauchen eine neue Gründerzeit!
leitwolf: Zum Gründen gehört auch Wachsen. Aber jungen Unternehmen fehlt in Europa häufig die Finanzierung, oder?
Markus Brunnermeier: Bei Start-ups steht Deutschland eigentlich gut da, das Problem ist die Wachstumsfinanzierung von Scale-ups. Um wirklich groß zu werden, haben die hiesigen Unternehmen oft keine andere Wahl, als an eine US-Börse zu gehen. Ich bin kein Freund von Industriepolitik, die Gefahr von Subventionslobbyismus und politischer Vereinnahmung ist sehr groß. Europa kann aber am richtigen Gerüst arbeiten, wir müssen endlich einen einheitlichen Kapitalmarkt schaffen, in dem sich Wachstum organisieren lässt. Wir brauchen ein europäisches Ökosystem im Finanzbereich, die viel diskutierte Kapitalmarktunion muss endlich kommen.
leitwolf: Auch am Kapitalmarkt ist angesichts der Unsicherheit Resilienz gefragt. Wie können Entscheidungsträger hier gelassener mit Krisen umgehen?
Markus Brunnermeier: Beim Risikomanagement wird ganz klassisch versucht, mittels Diversifizierung die Korrelation und damit das Risiko zu minimieren. Beim Resilienzmanagement wird dagegen nicht der Ausschlag minimiert, sondern die Mean Reversion, also die Zeit, bis wir zum Mittelwert zurückkehren. Wichtig ist dabei die Liquidität des Portfolios, damit ich anpassen und feinjustieren kann. Letztlich erhöht die Resilienz mein langfristiges Risikobudget. Dafür muss ich mich vorbereiten, ich muss analysieren, welche Fallen oder Kipppunkte drohen, die die Anpassung erschweren. Das funktioniert mit einer gewissen Redundanz und mit mentaler Einstellung. Wie schon Louis Pasteur sagte: „Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist.“
leitwolf: Die Staatsverschuldung wurde in den vergangenen Jahren in fast allen Volkswirtschaften hochgefahren. Wie gefährlich schätzen Sie die Situation ein?
Markus Brunnermeier: In diesem Zusammenhang steht Deutschland noch gut da – auch wenn das im März verabschiedete Finanzpaket die Schulden weiter in die Höhe getrieben hat. Dennoch schießen die Schulden noch nicht durch die Decke. Da wären wir auch schon wieder bei der Resilienz. Wir müssen damit rechnen, dass uns weitere Krisen bevorstehen, an den Finanzmärkten und in der Realwirtschaft. Wenn die Schulden extrem hoch sind, fehlen die Reserven, um darauf reagieren zu können. Ich fürchte übrigens, dass die USA erhebliche Probleme mit der Verschuldung bekommen. Die Neuverschuldung wird weiter hochgefahren. Gleichzeitig wirken viele von Trumps Maßnahmen inflationär. Die Zinsen bleiben hoch, was wiederum die Finanzierung der Verschuldung verteuert. Kurzfristig wird das gut gehen, aber mittelfristig könnte sogar der Status des US-Dollar als sicherer Hafen angekratzt werden.
leitwolf: Die grüne Transformation ist vor allem in den USA in den Hintergrund gerückt. Wie geht es damit weiter?
Markus Brunnermeier: Die Reduzierung von Emissionen, Biodiversität etc. ist durch die geopolitischen Spannungen in den Hintergrund gedrängt worden. Im Vordergrund steht jetzt ganz klar die technologische Transformation. Insbesondere durch die künstliche Intelligenz wird sich unglaublich viel ändern. Die damit einhergehenden Veränderungen sind aber auch Beispiel dafür, worauf wir in Resilienzfragen achten müssen. Eine neue Technologie wirkt disruptiv, sie schafft Umwälzungen, auf der J-Kurve bewegen wir uns zunächst nach unten. Erst mittel- und langfristig kommt es zu Produktionsgewinnen. Ohne Regulierung, neue soziale Normen und den richtigen rechtlichen Rahmen können wir aber auch einen Kipppunkt erreichen. Statt resilient zurückzufedern, kommt es dann zu negativen Rückkopplungseffekten, die das Ganze aus dem Ruder laufen lassen. Darauf müssen wir aufpassen.
leitwolf: Bei Technologien haben die USA schon lange die Nase vorn. Was müssen wir tun, um wieder aufzuschließen?
Markus Brunnermeier: Ich fange mit einem positiven Beispiel an: Die deutsche Regierung hat die Energiekrise relativ gut gemeistert, sie hat viel Anpassungsfähigkeit bewiesen. Wundermaßnahmen kann ich keine bieten. Aber die Flexibilität sollte auf alle Bereiche ausgeweitet, das System entbürokratisiert werden. Weniger Sozialausgaben, mehr Investitionen, öffentliche Beschäftigung effizienter gestalten. Das läuft dann wieder auf Resilienz hinaus, indem ich die Flexibilität erhöhe, Anreize zur Eigeninitiative schaffe – und dazu einen gewissen Grad Optimismus kreiere.
leitwolf: Professor Brunnermeier, herzlichen Dank für das Gespräch!
Fotos/Illustrationen: Markus Kirchgessner