THINK ALPHA
„Alles, was jemand von A nach B schiebt oder fährt, können wir automatisieren“
Das Münchner Unternehmen Cartken revolutioniert die letzte Logistikmeile durch autonom fahrende Lieferroboter. Ralf Lochmüller sprach mit dem Co-Gründer und CEO Christian Bersch über die Einsatzmöglichkeiten kamerabasierter Roboter in der Industrie, die Rolle von KI und die schwierige Regulatorik in Europa.
Redaktion Kathrin Lochmüller
leitwolf: Herr Bersch, Sie sind Pionier auf dem Gebiet der Lieferroboter. Wie kam es zu Ihrer Unternehmensgründung?
CHRISTIAN BERSCH: Meine Mitgründer und ich waren damals bei Google beschäftigt und haben dort unter anderem an einem Robotik-Projekt für autonomes Fahren gearbeitet. 2019 haben wir dann gesehen, dass der Zeitpunkt für ein Start-up im Bereich der selbstfahrenden Lieferroboter günstig war, weil die Technologien, die autonomes Fahren nicht nur möglich, sondern auch kosteneffizient machen können, weit genug entwickelt waren. Die Fortschritte, die künstliche Intelligenz (KI) und Computer Vision bis dahin gemacht hatten, waren ebenfalls positiv. Außerdem sind damals neue Computer-Module auf den Markt gekommen, die sehr leistungsfähig, aber auch stromsparend waren. Das alles passte perfekt für unseren Anwendungsfall: nämlich relativ kleine, autonom fahrende Fahrzeuge, die auf der letzten Meile fahren, aber auch andere Kurzstrecken und Transportaufgaben erledigen können.
leitwolf: Können Sie einige typische Anwendungsbeispiele nennen?
CHRISTIAN BERSCH: Wir haben mit Essenslieferungen auf der letzten Meile angefangen, zum Beispiel für Kunden wie Uber Eats. Da haben wir unsere Modelle trainiert und robust gemacht. Mittlerweile liegt aber der Großteil unseres Geschäfts im Industriesektor. Unsere Kunden kommen zum Beispiel aus dem Bereich Pharma oder Chemie oder auch aus der Automobilindustrie. Unsere Lieferroboter fahren dort auf Werksgeländen herum, wo es mehrere Gebäude gibt, zwischen denen alles Mögliche – Werkzeuge, Prüflinge, Dokumente – hin- und hergebracht werden muss, was früher Techniker oder Ingenieure getan und damit viel Zeit verbracht haben. Diese können sie jetzt sinnvoller einsetzen.
leitwolf: Herr Lochmüller, Sie haben sich mit Lupus alpha zu einem erfolgreichen Multi-Spezialisten entwickelt. Was unterscheidet Ihr Produktangebot von anderen Anbietern?
RALF LOCHMÜLLER: Das „Spezialisten-Gen“ haben wir Lupus alpha bei Gründung quasi mit in die Wiege gelegt. Damals sind wir mit dem gestartet, was wir am besten konnten: mit europäischen Nebenwerten. Uns war klar, dass wir gegen die etablierten „Vollsortimenter“ der Asset-Management-Industrie nur dann eine Chance haben, wenn wir in den spezialisierten Anlagestrategien, die wir anbieten, besser sind. Dieser Philosophie sind wir treu geblieben und haben in den folgenden Jahren weitere spezialisierte Strategien aufgelegt. Heute bieten wir sechs Strategiebereiche an – neben europäischen Nebenwerten sind das Wandelanleihen, CLOs, Volatilität, Wertsicherungs- sowie Risiko-Overlay-Strategien. Sie bieten Investoren vielfältige Möglichkeiten zur Diversifikation innerhalb ihres Aktien- oder Anleiheportfolios, aber auch den Zugang zu alternativen Risikoprämien.

Die neueste Entwicklung – der Cartken-Hauler – wurde für den automatisierten Materialtransport in Außen- und Innenbereichen in Produktionsstätten, Lagerhäusern und in Life-Sciences-Umgebungen entwickelt.
leitwolf: Herr Bersch, Sie hatten bereits die Fortschritte im Bereich KI erwähnt. Welche Rolle spielt KI in Ihren Anwendungen?
CHRISTIAN BERSCH: Eine große, die Fortschritte im Bereich KI haben unsere Entwicklungen erst möglich gemacht. Autonome Systeme basieren traditionell auf Sensoren, die relativ hochpreisig sind und sich für sehr kleine Fahrzeuge daher nicht rechnen. Unsere Lieferroboter nutzen heute ein Kamerasystem in Kombination mit KI, um zu navigieren. Die Kamera nimmt die Umgebung wahr, die KI identifiziert Fußgänger, Fahrzeuge, Hindernisse und den befahrbaren Untergrund. Zudem benutzt der Roboter die Kamera zur Lokalisierung und gleicht mit einer zuvor aufgenommenen Karte ab, wo er sich befindet, was erlaubte Fahrrouten sind, wo er parken darf, wo eine Ladestation ist etc. Da ist KI ein ganz wichtiger Bestandteil unseres Systems.
leitwolf: Herr Lochmüller, KI ist auch in Ihrer Branche ein großes Thema. Inwiefern verändert KI Ihre Arbeit als Asset Manager?
RALF LOCHMÜLLER: Asset Manager können mit KI Prozesse effizienter gestalten. Auch wir setzen KI ein, zum Beispiel beim Erstellen von Codes für quantitative Analysen, bei der Auswertung größerer Datenmengen etwa im Optionsmarkt, bei der Unternehmensanalyse oder auch im Relationship Management, um eine gezieltere Kundenansprache zu ermöglichen. Wir sind allerdings nicht davon überzeugt, dass KI auch überlegene Investmententscheidungen treffen kann. Im Hochfrequenzhandel vielleicht schon, aber wenn es darum geht, langfristig Alpha zu erzielen, sehen wir das nicht. Denn entscheidend für langfristiges Alpha sind Informationen, die im Markt noch nicht vorhanden sind. Solche Informationsineffizienzen gibt es bei Small & Mid Caps-Unternehmen, die wir mit unserem Team über Jahre sehr eng und persönlich begleiten und uns so einen Informationsvorsprung erarbeiten. KI hingegen kann nur bereits veröffentlichte, vorhandene Daten quantitativ auswerten.
leitwolf: Herr Bersch, wenn ein Industrieunternehmen einen Ihrer Lieferroboter für seine Werkslogistik einsetzen will, kauft er dann nur Ihre Software oder auch den Roboter?
CHRISTIAN BERSCH: Wir bieten Lieferroboter als Komplettlösung an, also die Software und Sensorik zusammen mit dem Roboter, der entweder gemietet oder gekauft werden kann. Die Robotertechnik ist dabei von uns entwickelt. Die Roboter selbst werden von unseren Industriepartnern wie Magna und Mitsubishi produziert und für bestimmte Anwendungen modifiziert. Wir können unsere Technologie aber auch in bereits existierende Fahrzeuge integrieren und diese damit nachrüsten. Zum Beispiel Paletten-Transportwagen, die im Industriebereich natürlich ein viel höheres Ladegewicht bewältigen können.
leitwolf: War Nachhaltigkeit ein Treiber für Ihre Entwicklungen?
CHRISTIAN BERSCH: Ja, dieser Aspekt war sehr wichtig für unser Start-up. Der CO2-Ausstoß ist massiv auf der letzten Meile. Was die Städte und Gemeinden aber noch interessanter finden, ist das Thema Verkehr, den Lieferroboter deutlich reduzieren können. In vielen Gemeinden ist man inzwischen am Limit, was Fahrzeuge auf den Straßen angeht. Da parken Lieferwagen, Uber-Eats-Fahrer etc. in der zweiten Reihe und blockieren Fahrbahn und Gehwege. Auch Universitäten setzen gern unsere Lieferroboter ein. Sie wollen keine zusätzlichen Fahrzeuge auf ihrem Gelände haben. In den USA sind wir bereits sehr stark auf Campussen vertreten, die Studenten dort kennen es oft gar nicht anders, als dass das Essen von Robotern ausgeliefert wird (schmunzelt).
leitwolf: Herr Lochmüller, wie wichtig sind Themen wie Net Zero, Emissionen und Biodiversität für Ihre Anlagestrategien?
RALF LOCHMÜLLER: Wir sehen, dass die anhaltenden geopolitischen Konflikte das Thema Nachhaltigkeit in der öffentlichen Wahrnehmung in der letzten Zeit zurückgedrängt haben, vor allem in den USA, die ihre Net-Zero-Ziele in bestimmten Bereichen bereits aufgegeben haben. In Deutschland beobachten wir das nicht, im Gegenteil: ESG-Kriterien haben für unsere Kunden, wie Pensionskassen, Versicherungen oder kirchliche Einrichtungen, eine unverändert hohe Priorität. In unseren Sustainable-Produkten haben wir die Auswahlkriterien für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung auch verbindlich festgeschrieben. Neben Klimaneutralität und Biodiversität schauen wir hier auch auf Themen wie Gleichberechtigung und Korruption. Und natürlich auf Bereiche wie Energie und Rüstung, wobei das Thema Rüstung durch den Ukraine-Krieg derzeit eine Neubewertung erfährt.
leitwolf: Herr Bersch, Sie haben Cartken in München gegründet, Sie selbst leben und arbeiten aber in den USA. Woher kommen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?
CHRISTIAN BERSCH: Wir beschäftigen derzeit gut 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mehr als die Hälfte davon arbeitet in München. In München sitzt vor allem die Softwareentwicklung – unser CTO ist auch in München – und in den USA eher die Hardwareentwicklung. Man muss als Entwickler aber nicht unbedingt in den USA sein oder da studiert haben, meine Mitgründer und ich waren ja bereits während unserer Google-Zeit in San Francisco, bevor wir Cartken gegründet haben, da hat es sich angeboten, von hier aus zu starten. In Deutschland gibt es auch sehr viel Talent, da können die Deutschen ruhig etwas selbstbewusster sein. Wir haben zum Beispiel viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von der Technischen Universität München kommen, die eine hervorragende Universität für Robotik ist. Das Ökosystem in Deutschland ist auf der technischen Seite sehr interessant für uns.
leitwolf: Herr Lochmüller, wie finden und halten Sie junge Talente für Lupus alpha?
RALF LOCHMÜLLER: Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind schon seit Gründung von Lupus alpha dabei, die meisten sind aber erst im Laufe unseres Wachstums dazugestoßen. Es gibt viele Beispiele von jungen Kolleginnen und Kollegen, die direkt nach dem Studium – oder sogar schon als Werkstudentin bzw. -student – bei uns begonnen haben und sich in sehr verantwortungsvolle Positionen im Fondsmanagement, im Vertrieb oder im Produktmanagement hineingearbeitet haben. Wir fördern diese Talente systematisch, indem wir uns Zeit für sie nehmen, gemeinsam Ziele entwickeln und in den Projekten unmittelbar Feedback geben. Während in meiner Generation vielleicht noch die klassische, hierarchische Karriere im Vordergrund stand, geht es den jungen Leuten heute mehr um eine verantwortungsvolle Tätigkeit, enge Feedbackschleifen und gutes Teamwork in den Projekten. Hier können wir Älteren noch von den Jüngeren lernen.
leitwolf: Sie feiern mit Lupus alpha in diesem Jahr das 25-jährige Bestehen. Was war im Rückblick für Sie die wichtigste Weichenstellung und wo sehen Sie für die Zukunft das größte Potenzial?
RALF LOCHMÜLLER: Wenige Monate nachdem wir mit Lupus alpha gestartet sind, platzte der Neue Markt. Da wir damals ausschließlich auf Small & Mid Caps-Strategien spezialisiert waren, waren das sehr herausfordernde Zeiten. Ich bin sehr froh darüber, dass wir dennoch an dem Segment festgehalten haben. Noch heute sind Small & Mid Caps ein ganz zentraler und sehr erfolgreicher Strategiebereich. Für unsere Strategien sehe ich angesichts der in der Diskussion befindlichen Gesetzesänderungen für die Betriebsrente und eine staatlich geförderte private Aktienrente auch noch großes Potenzial: Denn der Bedarf institutioneller Investoren an performanten Anlagen und nachhaltigen Risikoprämien wird im Rahmen der verstärkt kapitalgedeckten Altersvorsorge in Deutschland weiter zunehmen. Hier werden wir weiterhin mit unseren Lösungen an der Seite unserer Kunden sein.

Christian Bersch und Ralf Lochmüller haben sich über Potenzial und Nutzen ihrer Produkte ausgetauscht.
leitwolf: Herr Bersch, in welchen Anwendungsbereichen und Märkten sehen Sie für Ihre Lösungen das größte Potenzial?
CHRISTIAN BERSCH: Wir fokussieren uns hauptsächlich auf Transportlogistik. Neben der Industrie gibt es noch viele weitere Bereiche, in denen es langsam fahrende Fahrzeuge gibt, die gegenwärtig von Menschen betrieben und durch autonom fahrende Fahrzeuge ersetzt werden können. Denken Sie zum Beispiel an den gesamten Agrarbereich oder an die Airportlogistik. Grundsätzlich können wir alles, was jemand manuell von A nach B schiebt oder fährt, mit unseren Lieferrobotern automatisieren. Und da unsere Roboter sehr witterungsbeständig sind, können diese auch draußen fahren und dort Transportaufgaben erledigen. Damit haben unsere Roboter ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Was die Märkte angeht, so ist Europa extrem wichtig für uns, vor allem im Industriebereich. Da gibt es viele innovative Unternehmen, die offen für unsere Automatisierungen sind. Im öffentlichen Raum ist jedoch oft noch die Regulatorik ein Problem, die pro Land, manchmal auch pro Bundesland, unterschiedlich ist. Anders als zum Beispiel in Japan, das kürzlich eine nationale Regulatorik erlassen hat, wo Lieferroboter fahren dürfen. Auch in den USA ist es in dieser Hinsicht einfacher.
leitwolf: Wann werden wir auch in Deutschland Lieferroboter auf der Straße sehen?
CHRISTIAN BERSCH: Es gibt bereits Projekte in verschiedenen Bundesländern, aber ich denke, dass es noch ein paar Jahre dauern wird, bis der regulatorische Rahmen steht und die Lieferroboter die erforderliche Straßenverkehrs-Zulassung haben.
leitwolf: Herr Bersch, Herr Lochmüller, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Fotos/Illustrationen: Markus Kirchgessner, DIE ZWO