ACT ALPHA
Stroh im Tank
Das Potenzial liegt im Stroh: Aus dem landwirtschaftlichen Reststoff produziert die VERBIO Vereinigte BioEnergie AG Biomethan. Das Produkt reduziert die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen, ermöglicht grüne Mobilität und reduziert die CO2-Emissionen. Portfolio Manager Björn Glück besuchte den Produktionsstandort Pinnow in der Uckermark und erhielt spannende Einblicke in das innovationsgetriebene Unternehmen.
Von Dr. Stina Suwelack
Am Fenster der Regionalbahn ziehen Seen, Wälder und weite Felder vorbei. Schon nach wenigen Minuten Fahrzeit hat man das hektische Berlin hinter sich gelassen und genießt den Blick in die Natur. Nach Pinnow, das bei Schwedt an der Oder kurz vor der polnischen Grenze liegt, sind nur wenige andere Fahrgäste unterwegs. In dem beschaulichen Dorf befindet sich einer der Produktionsstandorte von VERBIO. Björn Glück ist hier mit Olaf Tröber verabredet, Vorstandsmitglied und CFO des Unternehmens.
Vom „Nationalparkbahnhof Pinnow“ ist es lediglich eine kurze Autofahrt bis zum Produktionsgelände. Der Firmenwagen, mit dem Björn Glück abgeholt wird, wird mit Biomethan angetrieben. Das verkündet die große Aufschrift auf dem Fahrzeug: „Stroh im Tank“. Biomethan ist ein erneuerbarer Energieträger und ein wichtiges Produkt im Portfolio von VERBIO. Den Fokus legt VERBIO auf Biodiesel, Bioethanol und Biomethan. Die Biokraftstoffe werden an insgesamt sieben Standorten auf drei Kontinenten hergestellt. Die Unternehmensgeschichte von VERBIO beginnt lange, bevor Nachhaltigkeit und Klimaschutz die zentrale politische und gesellschaftliche Bedeutung erlangten, die sie heute haben. Gründer Claus Sauter nahm vor 22 Jahren im ostdeutschen Bitterfeld seine erste Biodiesel-Produktion in Betrieb und legte damit den Grundstein für seine Erfolgsgeschichte. Die klare Vision nachhaltiger Mobilität treibt den Unternehmer bis heute an. 2006 gründet er die VERBIO Vereinigte BioEnergie AG und bringt sie im selben Jahr an die Börse. Das Geschäft ist von Höhen und Tiefen geprägt, vor allem von den oft schwer kalkulierbaren, politischen Regulierungen verursacht. Der Gründer reagierte mit Innovation und Mut zur Veränderung – zwei Attribute, durch die VERBIO sich noch heute auszeichnet. Sauter suchte nach einem neuen Produkt, um das Portfolio aus Biodiesel und Bioethanol zu ergänzen. Und beginnt 2010 mit der Produktion von Biomethan.
Wie die Produktion von Biomethan abläuft, kann Björn Glück in Pinnow unmittelbar erleben. Glück, der den Deutschlandfonds Lupus alpha Smaller German Champions managt, verfolgt die Entwicklung der VERBIO schon länger. Seit 2018 ist Lupus alpha investiert und hält ca. ein Prozent der Firmenanteile. CFO Olaf Tröber nimmt Glück in den Büroräumen auf der Anlage in Empfang. Diese befinden sich in einigen Bürocontainern. Schmucklos, aber praktisch. Vor dem Fenster fährt unablässig ein Radlader vorbei, der die Ladefläche eines großen Lastwagens mit Humus befüllt. Nach einer kurzen Begrüßung geht es direkt wieder in die Kälte des diesigen Februartages. Sebastian Maier, Geschäftsführer des Werks, begleitet die beiden Herren über das Werksgelände und erklärt die Produktionsabläufe und technischen Details.
VERBIO gewinnt Biomethan aus Stroh. Die Frage nach der häufig geführten „Tank oder Teller“-Debatte stellt sich hier nicht: Das verarbeitete Stroh ist ein Reststoff aus der Landwirtschaft, das als Nahrungsmittel nicht in Betracht kommt. VERBIO nutzt dabei Stroh von Landwirten aus der Region, das nach der Erntezeit auf den Feldern zurückbleibt. Erst wird es zu klassischen Ballen geformt, dann eingelagert und später zur Weiterverarbeitung in das Werk gebracht. Hier in Pinnow lagert es nur kurz in einem der überdachten Unterstände, wo eine Katze entspannt im Stroh liegt und die Besucher kritisch beäugt. Die Produktionsanlage läuft 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr. Abgeschaltet wird sie, wenn überhaupt, nur zu Wartungszwecken. Mehrere Tonnen Stroh, ungefähr 250 Ballen, werden täglich zu Biomethan verarbeitet. Lediglich vier Ballen sind nötig, um den jährlichen Treibstoffbedarf eines der Firmenwagen zu decken, mit dem Björn Glück am Bahnhof abgeholt wurde.
Ungefähr 250 Strohballen werden in Pinnow täglich zu Biomethan verarbeitet.
Sebastian Maier prüft die Qualität des Strohs, bevor es in die weitere Verarbeitung geht.
Inzwischen steht Björn Glück zusammen mit Olaf Tröber und Werksleiter Sebastian Maier an einem Förderband, wo Maier die Qualität des Strohs überprüft. Dieses muss zur Weiterverarbeitung trocken sein. Glück kann jetzt jeden Produktionsschritt mitverfolgen: Über ein Förderband werden die Strohballen weitertransportiert, zerhäckselt und dann in einen der sechs riesigen Fermenter eingebracht. Diese erinnern an bauchige Betontürme. Im Inneren herrschen um die 39 Grad. Bakterien zersetzen das Stroh. Es vergärt und Rohbiogas entsteht. Darin sind um die 60 Prozent Methan enthalten. Bevor das Gas genutzt werden kann, muss es noch gereinigt werden, um Kohlendioxid, Schwefel und anorganische Elemente abzutrennen. Das geschieht in einer Reinigungsanlage, die über Rohre mit den Fermentern verbunden ist. Eine erwärmte Waschflüssigkeit trennt die Stoffe voneinander. Das Endprodukt ist zu 98 Prozent gereinigtes Biomethan, das in das Erdgasnetz eingespeist wird. „Prinzipiell funktioniert das Ganze so, wie es zu Hause im Mülleimer ablaufen würde, nur unter Aufsicht“, fasst Sebastian Maier zusammen.
Björn Glück wirft noch einen Blick in das Innere der „Entschwefelungs- und CO2-Abtrennungsanlage“. Für einen Laien befinden sich dort lediglich viele glänzende Rohre und Maschinen. Alle weiteren technischen Details sind ein gut gehütetes Geheimnis des Unternehmens. Denn die Stroh-Biomethan-Technologie von VERBIO ist weltweit einzigartig. Als sich Gründer Claus Sauter damals entschloss, auf Reststroh als Rohstoff zu setzen, gab es nämlich noch keine Blaupause für die Umwandlung zu Biomethan im industriellen Maßstab. So entwickelte VERBIO die Technologie selbst. Diese Innovationskraft hebt Björn Glück hervor: „VERBIO ist ein eigentümergeführtes Unternehmen, das fortlaufend in die Weiterentwicklung seines Geschäftsmodells und vor allem seines Produktportfolios investiert. Die stetige Internationalisierung kombiniert mit kontinuierlichem Wachstum zeigt, dass der strategische Kurs richtig ist.“ Etwaige Hürden für die Zukunft sieht er vor allem in den regulatorischen Vorgaben, die in Deutschland und Europa besonders stark ausgeprägt sind. Forschung und Entwicklung finden bei VERBIO traditionell unternehmensintern statt. Das hat Vorteile, denn die direkte Anbindung an die Produktion ermöglicht einen effizienten Wissensgewinn und die schnelle Umsetzung von Forschungserkenntnissen.
Björn Glück zerdrückt eine kleine Menge Humus in seiner Hand. Humus ist das, was von dem vergorenen Stroh im Fermenter zurückbleibt. Dieses Produkt schließt einen Kreislauf. Während viele von Kreislaufwirtschaft bisher nur sprechen, hat VERBIO sie hier längst umgesetzt. Im Rahmen der Produktion entsteht kein Abfall, es werden alle Stoffe verarbeitet oder weiterverwendet. Die Kreislaufwirtschaft bei der Produktion von Biomethan funktioniert so: Die Uckermark ist eine Region, in der viel Roggen angebaut wird. Einmal im Jahr ist Erntezeit. In diesen Wochen muss das Unternehmen seinen Strohvorrat für fast ein ganzes Jahr auffüllen. Die Landwirte, die ihr Stroh sonst auf dem Feld verrotten lassen würden, geben dies an VERBIO weiter. Die Mitarbeiter des VERBIO-Agrarteams pressen es in den wenigen Wochen der Ernte zu Strohballen und lagern es ein. Sogar Gründer Claus Sauter lässt es sich nicht nehmen, einige Tage persönlich die Strohpresse über das Feld zu fahren. Bei der Produktion von Biomethan entstehen am Standort Pinnow bis zu 300 Tonnen Humus pro Tag. Die Landwirte erhalten dieses Produkt zurück. Sie setzen es als hochwertigen organischen Dünger auf den Feldern ein und schließen so die Humusbilanz, die für die Erhaltung der Bodenqualität essenziell ist.
Björn Glück
In der Reinigungsanlage entsteht Biomethan, das in das Erdgasnetz eingespeist wird.
Ein kurzer Blick auf die Reinigungsanlage von innen. Weitere Details der unternehmenseigenen Technologie von VERBIO sind vertraulich.
Björn Glück und Olaf Tröber wärmen sich nach dem Rundgang über die Anlage mit einer Tasse heißem Kaffee auf. Glück erkundigt sich danach, wie wichtig den Kunden von VERBIO das Thema Nachhaltigkeit ist. „Große Sensibilität gegenüber diesem Thema gibt es vor allem in den USA“, berichtet CFO Tröber. Dort fragen die Firmen Biomethan aktiv nach, um ihre Prozesse nachhaltig zu gestalten. Lkws legen in dem großen Land weite Strecken zurück – und können als Treibstoff klimafreundliches Biomethan nutzen. Tröber sieht in den Vereinigten Staaten viel Potenzial. Die regulatorischen Rahmenbedingungen für Biokraftstoffe sind dort transparent und Fördermittel für nachhaltige Produkte ohne große Hürden zugänglich. Das sieht am Standort Deutschland anders aus. Hier steht fast ausschließlich der Transportsektor im Fokus. „Das ist und bleibt in der Europäischen Union erst einmal unser größter Wachstumstreiber“, sagt Tröber. VERBIO baut hierfür zurzeit ein Tankstellennetz auf, das zu Beginn 20 Standorte umfassen wird. Hier werden Lastwagen sowohl Bio-CNG (komprimiertes gasförmiges Biomethan) als auch Bio-LNG (verflüssigtes Biomethan) tanken können. Ein zusätzlicher Wachstumstreiber für den Bioenergie-Produzenten. Auch in Indien hat das Unternehmen bereits eine Stroh-Biomethan-Anlage installiert und sondiert zurzeit weitere Wachstumspotenziale. Hier verbrennen die Landwirte große Mengen Stroh, das VERBIO zu Biokraftstoff verarbeiten kann. Das ist gerade in diesem bevölkerungsreichen Land ein großer Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit, besserer Luftqualität und Klimaschutz.
Zum Ende des Gesprächs interessiert sich Björn Glück für die fernere Zukunft. Welche langfristigen Ziele verfolgt die VERBIO? Olaf Tröber lächelt vielsagend, bevor er antwortet: „Wir setzen auf modernste Technologie für mehr Nachhaltigkeit. Neben dem Transportsektor nehmen wir andere Bereiche ins Visier. In der chemischen Grundstoffindustrie gibt es noch viele Chancen, die Produktion auf Basis von erneuerbarer Anbaubiomasse nachhaltig zu gestalten.“ Das betrifft beispielsweise Kohlenstoff, der in fast allen Gegenständen enthalten ist, mit denen wir täglich Kontakt haben. Auch dieser Stoff kann nachhaltig hergestellt werden. Tröber betont die zentrale Kernkompetenz des Unternehmens: den Umgang mit dem Grundstoff Biomasse und die Herstellung unterschiedlicher Moleküle für verschiedene Anwendungszwecke. „Unsere Zukunft sind die Derivate der Biomasse“, sagt Olaf Tröber. „Wir wollen langfristig einen Beitrag zur grünen Revolution der Chemieindustrie leisten.“ Das könnten unter anderem erneuerbare Rohstoffe für die Wasch- und Reinigungsmittelindustrie sein. Gerade in diesem Bereich steigt die Nachfrage der Endverbraucher nach nachhaltigen Produkten mit einem möglichst geringen ökologischen Fußabdruck. Dass dem Unternehmen die Reduktion davon gelingt, hat es bereits zur Genüge unter Beweis gestellt: Die im Geschäftsjahr 2021/22 hergestellten Produkte ermöglichen eine CO2-Einsparung von 2,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent. „Trotz unserer Größe sind und bleiben wir ein Familienunternehmen. Wir wachsen verantwortungsvoll, aber haben keine Scheu vor einer Transformation. Wir bauen jetzt die Strukturen für unsere Zukunft auf. In Generationen zu denken liegt in unserer DNA“, sagt Tröber. Deshalb lädt er Björn Glück zum Abschied auch schon zu einem nächsten Besuch ein. Um zu schauen, wie sich die neuen Geschäftsfelder und Produkte machen.
Olaf Tröber
Seit 15 Jahren im Unternehmen: CFO Olaf Tröber erläutert Björn Glück die weitere strategische Ausrichtung von VERBIO.
Kreislaufwirtschaft: Strohhumus bleibt als Restprodukt des Vergärungsprozesses übrig und wird als Düngemittel zurück an die Landwirte gegeben.
CFO Olaf Tröber, Geschäftsführer Sebastian Maier und Portfolio Manager Björn Glück (von links) vor einem der riesigen Fermenter.
Gute Unternehmen finden einen Weg – immer!
Die wirtschaftlichen Herausforderungen sind mit Rezession, Energiekrise und Klimawandel derzeit vielfältig. Einmal mehr wird deutlich, dass wir nur durch intelligente Produkt- und Prozessinnovationen aus der Krise kommen werden. Und diese finden vor allem in Small & Mid Caps-Unternehmen statt.
VERBIO ist ein gutes Beispiel dafür. Schon weit bevor Nachhaltigkeit und Klimaschutz in aller Munde waren, hat das Unternehmen in Biokraftstoffe und damit in die CO2-Reduktion investiert. Gründer Claus Sauter hat sich dabei von den oft schwer kalkulierbaren politischen Regulierungen nicht beirren lassen, sich angepasst und seine Vision von nachhaltiger Mobilität weiter vorangetrieben.
Unternehmen wie VERBIO sind es, die wir in wirtschaftlichen Umbruchsituationen, wie wir sie gerade erleben, brauchen. Unternehmen, die aufgrund ihrer schlanken Strukturen und kurzen Entscheidungswege dazu in der Lage sind, hochflexibel auf veränderte Marktbedingungen zu reagieren. Unternehmen, die mit ihren Produkten überhaupt erst dazu beitragen, dass es eine nachhaltige Transformation unserer Wirtschaft geben kann.
Solche innovativen Unternehmen frühzeitig als Investmentidee aufzuspüren, sie zu begleiten und an ihrer Entwicklung zu partizipieren ist Kern unserer täglichen Arbeit im Team. Dabei kommen wir immer wieder zu der Erkenntnis: Gute Unternehmen finden einen Weg – immer!
DR. GÖTZ ALBERT,
MANAGING PARTNER UND CIO VON LUPUS ALPHA
Fotos/Illustrationen: Markus Kirchgessner