Kann Deutschland Zukunft?

In den letzten Jahren ist das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands erheblich gesunken. Die jüngsten Krisen haben nicht nur ungesunde Abhängigkeiten, sondern auch erschreckende Versäumnisse bei Verwaltung, ­Infrastruktur und Schlüsseltechnologien aufgedeckt. Was getan werden muss, damit der Innovations- und Investitionsstandort Deutschland wieder erstklassig wird.

Von Michael Frick

Jeder kennt es, das Gütesiegel „Made in Germany“, das weltweit für unsere Innovationskraft und die hohe Qualität von in Deutschland gefertigten Produkten steht. Aber hält das Gütesiegel noch das, was es verspricht? Sind wir noch das Land der Erfinder und Ingenieure?

Schaut man sich die Zahl der deutschen Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt an, kommen Zweifel auf. Diese sta­g­niert seit Jahren, während Anmeldungen aus Asien, allen voran aus China, stark aufgeholt haben. Auch bei den Patentanmeldungen in digitale Schlüsseltechnologien kommen ­deutlich weniger aus Deutschland als aus China, Japan und den USA. Zudem wird nicht jede Erfindung automatisch zur Innovation. Deutschland ist zwar traditionell erfinderisch, aber die „Früchte“ sammeln oft andere ein, wie die Erfindungen des MP3-Formats, der Glühbirne oder des Fax-Geräts zeigen. So liegt Deutschland im WIPO Global Innovation Index 2022 auch nur auf Rang 8, die Schweiz, USA und Schweden dagegen auf den Top 3. Was läuft bei ihnen besser?

Bürokratie und langwierige Genehmigungsverfahren hemmen Innovationen

Nicht erst seit der Corona-Pandemie sind die verkrusteten Strukturen und Prozesse in Politik und Verwaltung offenbar geworden. Seit Jahren geht es in Deutschland nur noch um Bewahrung und Umverteilung des Erreichten, statt um die aktive Förderung von privaten Initiativen, Innovationen und eigenverantwortlichem Handeln. Daran hat auch die Ampelkoalition bisher nichts wesentlich geändert. Wir sind heute längst kein Innovationsweltmeister mehr, sondern Weltmeister im Bedenkentragen und im Debattieren des kleinsten gemeinsamen Nenners. Während Washington und Peking Milliarden in KI- und Blockchain-Technologien investieren, debattiert man hierzulande lieber endlos über den richtigen Umgang mit personenbezogenen digitalen Daten und droht damit die Chancen, die diese Schlüsseltechnologien für Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum bieten, zu verschlafen.

Überhaupt fehlt mir in dieser Zeit voller Krisen der politische Weitblick. Wo ist der Masterplan, wo sind die übergeordneten Ziele, die Unternehmen und BürgerInnen in unserem Land Orientierung geben? Statt sich in den großen Fragen und Themen für unsere Zukunft verlässlich zu positionieren, verhält sich Deutschland zögerlich und reaktiv. Russland dreht den Gashahn zu – und Deutschland sucht hektisch alternative Energiequellen. Die USA rufen den Inflation Reduction Act aus – und Deutschland verharrt bis zum Gegenentwurf der EU in Schockstarre. Unser Agieren in den wichtigen Zukunftsthemen wirkt kopflos und getrieben. Da ist die Ansiedelung von Intels neuer Chipfabrik in Deutschland leider auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

„Unser Agieren bei den wichtigen Zukunftsthemen wirkt kopflos und getrieben.“

Michael Frick, Managing Partner und CFO, Lupus alpha.

Deutschland braucht wieder mehr Mut und eine echte Innovationskultur

Was leider nach wie vor in Deutschland unterentwickelt ist, ist der konstruktive Umgang mit Risiken und Fehlern. Wir haben so viel Angst davor zu scheitern, dass wir lieber keine Risiken eingehen. Risiken gehören aber zu jeder politischen oder unternehmerischen Entscheidung und zu jedem technologischen Fortschritt dazu. In den USA beispielsweise sammeln Gründer, die schon unternehmerisch gescheitert sind, viel leichter Gelder von Investoren ein als Gründer, die bisher unfehlbar waren. In Deutschland sind wir weit von einer solchen Fehlerkultur, oder besser gesagt Innovationskultur, entfernt.

„Deutschland mangelt es an Mut, bei ­Innovationen groß und disruptiv zu denken“, war auch die einhellige Meinung der Experten auf unserem jüngsten Investment Fokus. Die Innovations-Professorin Dr. Katharina Hölzle brachte es auf den Punkt: „Wir können Spaltmaße bis zur Perfektion optimieren, aber das Auto neu denken, damit tun wir uns schwer.“

Lücke zwischen Forschung und industrieller Anwendung schließen

Um das „Tal des Todes“ zwischen Erfindung und fertigem Produkt zu überbrücken, brauchen innovative Start-ups vor allem einen besseren Zugang zu Wagniskapital (VC). Wir haben es seit Jahren versäumt, systematisch in VC zu investieren. Oft bleibt den Start-ups hierzulande nach der Frühphasenfinanzierung der Zugang zu weiteren Finanzspritzen im großen Stil verwehrt. Institutionelle Investoren wie Versicherungen und Pensionskassen können wegen ihrer regulatorischen Vorgaben nur begrenzt in VC investieren, fallen als Wachstumsfinanzierer also aus. Ganz anders in den USA: Hier fließen seit Jahren große Summen aus den Rentenkassen über Wagniskapitaltöpfe in die Finanzierung junger Firmen. So können die USA auch bei ihren Finanzierungsrunden klotzen – und nicht selten picken sie sich die besten Start-ups in Europa im „later stage“ heraus. Mit ihrer neuen Start-up-Strategie will die Regierung zwar gegensteuern und die Mittel aus dem „Zukunftsfonds“ aktivieren. Aber auch hier gilt: Eine Strategie ist nur so gut wie ihre Umsetzung.

Der Mittelstand macht es vor

Dass es in Deutschland trotz der ungelösten Probleme innovative Unternehmen gibt, zeigen unsere täglichen Gespräche mit kleinen und mittleren Unternehmen. Ein gutes Beispiel dafür ist Carl Zeiss Meditec. Das innovative Unternehmen stellt chirurgische Instrumente u. a. für die Augenheilkunde her und hat beispielsweise ein minimalinvasives Laserverfahren zur Augenkorrektur erfunden, welches die herkömmliche Lasik-Methode immer mehr ablöst. Oder nehmen Sie SGL Carbon, eines der weltweit führenden Unternehmen bei der Entwicklung und Herstellung von kohlenstoffbasierten Lösungen. Es stellt spezielle Graphitmaterialien her, die für die Produktion von Halbleitern, ­Lithium-Ionen-Batterien oder Solarzellen benötigt werden. Oder das Halbleiterunternehmen Aixtron. Bei der effizienten Wandlung von Strom ist das Unternehmen mit einem Marktanteil von 40 Prozent weltweit führend. Durch seine Technologie, die zum Beispiel Autobatterien mit mehr Reichweite und kürzeren Ladezeiten oder energieeffiziente Klimaanlagen ermöglicht, ließen sich 50 Gigatonnen CO2 jährlich einsparen.

Wenn ich mir diese Beispiele vor Augen halte, ist mir um die deutsche Wirtschaft nicht bange. Wichtig ist nur, dass wir der Innovationskraft dieser Unternehmen nicht die Dynamik entziehen – etwa mit mehr staatlicher Regulierung und übertriebenem Bürokratismus. Im Gegenteil: Die Unternehmen brauchen Freiräume und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen!

„Innovative Start-ups brauchen einen besseren Zugang zu Wagniskapital.“

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