„Neugewichten bedeutet, das zu kaufen, was jeder andere verkauft“

Seit 2015 ist Robert F. Wallace für das Stiftungsvermögen der Stanford University verantwortlich. Der frühere Balletttänzer hat bei dem legendären Yale-Investor David F. Swensen gelernt. Wallace erklärt, warum ein schnell wachsendes Vermögen den Anlageerfolg gefährden kann und warum Portfolio-Manager ihr eigenes Geld investieren sollten.

Mit Robert F. Wallace sprach Ina Lockhart

leitwolf: Herr Wallace, 2015 wurden Sie an die Spitze der Stanford Management Company (SMC) berufen, die rund 42 Milliarden Dollar an Stiftungsvermögen verwaltet. Damals kamen Sie von Alta Advisers, dem Family Office einer schwedischen Milliardärsfamilie in London. Nach Ihrem Start in Stanford veränderten Sie einiges. Warum?

Robert F. Wallace: Der hohe Grad der Diversifikation des Portfolios machte mir Sorgen. Und damit meine ich nicht die Vielfalt der Anlageklassen, sondern die Anzahl der Einzelpositionen innerhalb der einzelnen Anlageklassen. Als ich kam, hatte Stanford rund 300 Investmentspe­zialisten engagiert. Mit anderen Worten: Jeder dieser Spezialisten verwaltete nur einen ­extrem kleinen Teil des Portfolios. Zudem waren das für uns zu viele, um jeden einzelnen von ihnen und dessen Anlage­prozess gut zu kennen. Am Ende führt das dazu, dass man sich zu wenig austauscht und das Vertrauen fehlt.

leitwolf: Was genau haben Sie verändert?

Robert F. Wallace: Unser Ziel ist es, in ­jeder unserer Anlageklassen mit dem besten Spezialisten in der Branche zusammenzu­arbeiten. Dabei streben wir nach der „besten Ausführung“. Um einen besseren Überblick und Zugang zu haben, haben wir uns von rund 250 Investmentspezialisten getrennt. Da viele der betroffenen Investments Partnerschaften im Private-Equity-Bereich waren, dauert es natürlich Jahre, bis dieser Trennungsprozess abgeschlossen ist. 36 Partner blieben an Bord, 40 neue ­kamen in den folgenden fünf Jahren hinzu. Ende 2020 hatten wir also 76 Investmentpartner. 80 bis 90 Prozent des Stiftungsvermögens in sechs bis sieben Jahren neu aufzustellen, war eine Riesenaufgabe.

leitwolf: Wie wichtig ist es für Sie, dass Ihre Investmentpartner ihr eigenes Geld anlegen?

Robert F. Wallace: Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass beide Seiten dieselben Interessen verfolgen. Wenn sie zusammen mit dem Stanford-Vermögen eine beträchtliche Summe ihres eigenen Geldes investieren, haben sie plötzlich viel stärker die langfristige Perspektive im Blick. Zudem ermuntern wir unsere Partner dazu, die Gewinne aus ihren Investments mit uns zu reinvestieren.

leitwolf: Wie gehen Sie vor, wenn Sie für eine bestimmte Anlageklasse keinen passenden Investmentpartner finden?

Robert F. Wallace: Wenn das der Fall ist, suchen wir uns ein adäquates passives Investment, sofern es das gibt. Falls nicht, ändern wir unsere Vermögensallokation. Genau das ist ein Punkt, den viele institutionelle Investoren nicht verstehen, die David F. Swensens Investmentmodell der Yale-Stiftung nacheifern: Eine erfolgreiche Vermögensallokation ist ­untrennbar verbunden mit der Fähigkeit, diese auch bestmöglich umzusetzen.

leitwolf: Sie haben eingangs betont, wie wichtig die „beste Ausführung“ ist. Was genau verstehen Sie darunter?

Robert F. Wallace: Wenn ich von Aus­führung spreche, meine ich drei Kom­ponenten: erstens die Auswahl der Einzelinvestments, um eine Anlage­klasse mit Leben zu füllen. Zweitens die Optimierung von Opportuni­täten, um so innerhalb des Portfolios einen beträchtlichen Mehrwert zu schaffen. Drittens die Neugewichtung der Anlageklassen, um unserer Allokation, unseren Anlagezielen und unserem Rendite-Risiko-Profil treu zu bleiben. Das ist extrem schwer, denn es bedeutet nichts anderes, als dass wir das kaufen, was jeder andere verkauft.

leitwolf: Haben Sie vor Kurzem eine Neugewichtung größeren Stils vorgenommen?

Robert F. Wallace: Das war im März 2020, als die Aktienkurse rund um die Welt in drei Wochen 30 Prozent verloren – ausgelöst von der Angst vor dem Coronavirus und dessen Folgen. Wir kauften, was 30 Prozent an Wert verloren hatte, um so unser Risiko-Rendite-Profil wiederherzustellen. Manchmal gewichteten wir zweimal am Tag neu. Normalerweise machen wir das nur zwei- oder dreimal im Monat. Bis Ende Juni 2020 hatten wir Neugewichtungen vorgenommen, die einem Volumen von 12 Milliarden Dollar entsprachen. Das ist bei einem Gesamtportfolio, das damals weniger als 30 Milliarden Dollar wert war, eine beträchtliche Größenordnung.

leitwolf: In den vergangenen fünf Jahren ­haben Sie zusammen mit Ihrem Team eine jährliche Rendite von 14,7 Prozent erzielt. Wie sieht Ihre Vermögensallokation aus?

Robert F. Wallace: Wir investieren vornehmlich aktienorientiert. US-Anleihen machen lediglich zehn Prozent aus. Illiquide Anlagen wie Private Equity oder Wagniskapital haben einen Portfolioanteil von 45 Prozent. Wir sind in natürliche Ressourcen wie Wald mit einer Quote von vier Prozent investiert und würden das gern auch verstärkt tun. Doch sind die Anlagemöglichkeiten hier knapp und die Bewertungen zu hoch. Bei Rohstoffen ziehen wir es vor, den Produzenten selbst und nicht den Rohstoff im Portfolio zu haben. Inflationsbereinigt liefern Rohstoffe langfristig nur eine kleine bis keine Rendite.

leitwolf: Wie sieht Ihre geografische Vermögensaufteilung aus?

Robert F. Wallace: Ungefähr drei Viertel ­unseres Vermögens sind in den USA investiert, der Rest außerhalb. Die Dominanz des Heimatmarktes hat unterschiedliche Gründe. Einer davon ist, dass unsere Verbindlichkeiten in US-Dollar denominiert sind. Die Stiftung steuert ein Fünftel oder 1,4 Milliarden Dollar zu dem Jahresbudget der Stanford-Universität bei. Ein weiterer ist, dass es uns leichter fällt, Investmentpartner in unserem Heimatmarkt zu finden.

leitwolf: Wie gehen Sie als Investor mit dem Thema ESG um?

Robert F. Wallace: Für uns ist ESG ein wesentlicher Bestandteil unseres normalen Anlageprozesses. Wir haben kein separates ESG-Portfolio, sondern beziehen diese Aspekte in unsere Vermögensallokation und in jede einzelne Anlageentscheidung mit ein, denn sie wirken sich auf das wirtschaftliche Ergebnis aus. Ich wäre kein guter Investor, wenn ich nicht verstehen würde, dass das CO2 in der Atmosphäre Kosten verursacht, die der Marktpreis nicht voll widerspiegelt. Davon geht ein großes Risiko aus. Denn irgendwann werden diese Kosten mit einbezogen. Ist man sich dessen nicht bewusst, wird man eine große Anlageenttäuschung erleben.

leitwolf: Wie oft überprüfen Sie Ihre Vermögensallokation?

Robert F. Wallace: Einmal im Jahr. Würden wir das häufiger tun, wäre das für mich das alarmierende Zeichen, dass wir möglicherweise gefährliches Market Timing betreiben.

„Unser Ziel ist es, in jeder unserer Anlageklassen mit dem besten Spezialisten in der Branche zusammenzuarbeiten.“

leitwolf: Als Investor unterstehen Sie der Aufsicht eines internen Kontrollgremiums. Was zeichnet eine gute Governance aus?

Robert F. Wallace: Eine gute Governance unterstützt disziplinierte Entscheidungsprozesse und die konsequente Umsetzung einer Anlagestrategie. Es ist entscheidend, dass das Kontrollgremium aus gut ausgebildeten und gut informierten Mitgliedern besteht. Versagt die Governance, ist das häufig auf das Prinzipal-Agent-Problem zurückzuführen: Ein Mitglied des Kontrollgremiums wird für 3 oder 5 Jahre berufen. Wir versuchen aber, die beste Anlageentscheidung für einen Zeithorizont von 7, 10, 15 oder 20 Jahren zu treffen. Wir arbeiten für die Mitglieder unseres Kontrollgremiums und liefern ihnen alle Informationen, die sie benötigen. Sie können jede einzelne Investition mit der zugehörigen internen Protokollnotiz einsehen. Diese Herangehensweise habe ich von David F. Swensen während meiner Zeit in Yale gelernt. So wollen wir die, die uns kontrollieren, in die Lage versetzen, zu verstehen, wie und mit welchem Qualitätsanspruch wir arbeiten. Damit sie uns nicht den Boden unter den Füßen wegziehen, wenn wir es am wenigsten gebrauchen können.

leitwolf: Wie skalierbar ist der Erfolg Ihres Investmentprozesses?

Robert F. Wallace: Genau diese Frage treibt uns derzeit um. Im abgelaufenen akademischen Jahr haben Anlagegewinne in Höhe von 12,1 Milliarden Dollar das Stiftungsvermögen von 30 auf 42 Milliarden Dollar erhöht. Nehmen wir Venture Capital als Beispiel. Das ist eine Anlageklasse, die nicht skalierbar ist. Selbst Stanford, das mitten im Silicon Valley liegt und viele der Unternehmensgründer hervorgebracht hat, wird es schwer haben, seine Investmentziele zu erreichen, wenn das Stiftungsvermögen steigt. Größe wird auch in den anderen Anlageklassen zum Problem. Ausgezeichnete Investmentpartner, die sich ihren Anlage­erfolg bewahren wollen, reagieren eher zurückhaltend, wenn das verwaltete Vermögen zu schnell wächst. Sie fürchten, dass dadurch ihre Anlageopportunitäten schwinden.

leitwolf: Herr Wallace, herzlichen Dank für das Gespräch!

Der Balletttänzer

„Sie waren extrem nett und mutig, einem alten Typen wie mir eine Chance als Aushilfe zu geben“, sagt Robert F. Wallace rückblickend auf die Jahre, als er im Team von Yales legendärem Investor David F. Swensen und dessen rechter Hand Dean Takahashi arbeitet. Zuvor war der heute 57-Jährige 16 Jahre als Balletttänzer erfolgreich. Bereits im Alter von 13 Jahren, als er im Ballettsaal der einzige Junge umringt von Mädchen ist, lernt er, was Angebot und Nachfrage bedeuten. Nach fünf Jahren im Yale Investments Office und seinem Uni-Abschluss im Jahr 2002 geht Wallace nach London zu Alta Advisers, dem in London ansässigen Family Office der schwedischen Milliardärsfamilie von Hans Rausing. Dort soll er das Portfolio nach dem Yale-Investmentmodell umbauen: den Fokus auf Aktien setzen und größere Anteile in Private Equity, Hedgefonds und andere alternative Investments anlegen. Als Wallace an die Spitze von SMC berufen wird, ist er der vierte Swensen-Schüler, der eines der zehn größten US-Stiftungsvermögen verantwortet.

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