Digitales Zentralbankgeld: „Mehr politische als ökonomische Risiken“

Bitcoin, Ethereum, Tether und jetzt auch noch digitaler Euro und Dollar – Kryptowährungen mischen die Kapitalmärkte derzeit ordentlich auf. Über Chancen und Risiken speziell von digitalem Zentralbankgeld spricht Dr. Götz Albert von Lupus alpha mit Prof. Dr. Dirk Niepelt von der Universität Bern.

Redaktion Anna-Maria Borse

Dr. Götz Albert: Am Thema Kryptowährungen scheiden sich die Geister, für die einen ist es die Zukunft schlechthin, für die anderen Teufelszeug. Nun planen die großen Notenbanken die Einführung von digitalem Zentralbankgeld CBDC (Central Bank Digital Currency). Was sind Ihrer Einschätzung nach die Treiber?

Prof. Dirk Niepelt: Hauptsächliche Treiber sind die Entwicklungen bei den privaten Kryptowährungen. Die Notenbanken sind eher Getriebene. Sie lehnen Kryptowährungen weitgehend ab und verurteilen sie sogar als „Massenvernichtungswaffen“. Vor 2019 unterschieden viele kaum zwischen echten Kryptowährungen wie dem Bitcoin und den an klassische Währungen gebundenen Stablecoins. Als Facebook dann die Pläne für Libra vorstellte, läuteten die Alarmglocken. Die EZB will einen digitalen Euro, in den USA schwindet der Widerstand gegen einen digitalen Dollar und in China war ein Prototyp des digitalen Yuan bereits im Testlauf.

Dr. Albert: Welche Folgen hätte CBDC für das Geldsystem? Würden sich durch die ­Einführung dieser dritten Form von Zentralbankgeld – neben Bargeld und Reserven – die geldpolitischen Möglichkeiten verändern?

Prof. Niepelt: Das hängt von der Ausgestaltung ab. Beschränkte man sich auf Wholesale- CBDC, würde am heutigen zweistufigen Geldsystem nicht gerüttelt. Weiterhin hätten nur Banken auf digitales Zentralbankgeld ­Zugriff. Aber sie könnten Transaktionen effizienter untereinander abwickeln. Bei einem Wertpapierverkauf zum Beispiel könnte die Zahlung unmittelbar mit CBDC auf einer Blockchain erfolgen, vielleicht ließen sich ­sogar grenzüberschreitende Transaktionen vereinfachen. Banken haben daher ein großes Interesse an Wholesale-CBDC. Mit Retail-CBDC erhielten auch Haushalte und Unternehmen Zugang zu digitalem Zentralbankgeld, entweder mit einer Art Konto bei der Notenbank oder auf einer Blockchain oder über ihre Hausbank, die CBDC-Konten für die Kunden außerhalb der Bankbilanz führen würde. Das zweistufige Geldsystem würde dadurch infrage gestellt und die Transmissionsmechanismen der Geldpolitik würden direkter und ggf. stärker. Die EZB plant derzeit die Einführung von Retail-CBDC mit einer Obergrenze von wenigen Tausend Euro pro Person. Ob dies auf Nachfrage stieße und bedeutende Auswirkungen hätte, ist unklar.

Dr. Albert: Banken sind heute wichtige Akteure der Geldschöpfung. Wäre das Geschäftsmodell der Banken nicht infrage gestellt in einer Welt mit Retail-CBDC ohne Restriktionen?

Prof. Niepelt: Wenn Sparer Retail-CBDC statt Bankeinlagen hielten, könnten Banken in der Tat kein Geld mehr schöpfen. Sie müssten sich anderweitig finanzieren. Ihre Finanzierungskosten dürften also steigen, wenn sie ­einen Einlagenabfluss vermeiden wollten. Ein „Loch“ in den Bankbilanzen entstünde aber nicht einmal in einem Extremszenario, in dem Sparer ihre Einlagen von einer Bank ohne Reserven abziehen und in CBDC umtauschen wollten: Sollte die EZB die eingehende Überweisung akzeptieren, würde sie die Bank damit automatisch refinanzieren.

Dr. Albert: Welche Risiken und Chancen ­sehen Sie für Retail-CBDC? Ich kann mich erinnern, dass sich in der Finanzkrise viele Unternehmen ein Notenbankkonto gewünscht hätten.

Prof. Niepelt: In der Tat könnte sicheres staatliches digitales Geld für Unternehmen und Haushalte attraktiv sein, sofern die Verzinsung stimmt. Auch die Finanzstabilität könnte profitieren, denn nach einem weitgehenden Systemwechsel zu Retail-CBDC wären Banken weniger fragil und müssten auch weniger stark reguliert werden. Ihre Finanzierungskosten könnten aber wie erwähnt ­steigen. Daneben gäbe es politische Risiken. Die aufgrund der CBDC-Herausgabe ver­längerte Zentralbankbilanz könnte zu noch mehr Versuchen politischer Einflussnahme führen. Meiner Einschätzung nach könnten diese politischen Risiken größer sein als die makroökonomischen. Auch global könnte CBDC weitreichende Folgen haben: CBDC würde die starken Währungen weiter stärken. Denn wo Kleinsparer in Schwellenländern heute unter schwachen Währungen und Financial Repression leiden, könnten digitale Euros oder Dollars ihnen in Zukunft neue Möglichkeiten bieten. Die Zentralbanken in solchen Schwellenländern verlören an Einfluss, den betroffenen Staaten entgingen Geldschöpfungsgewinne.

„Digitales Zentralbankgeld für alle könnte die Geldarchitektur dramatisch verändern.“

Dr. Albert: Eine Sorge ist, dass in einem Modell mit CBDC-Konten bei der Notenbank die Privatsphäre der Bürger nicht mehr ausreichend geschützt wäre. Außerdem könnten Notenbanken mithilfe der Privatkundenkonten leichter und direkter Negativzinsen durchsetzen oder Steuern einbehalten.

Prof. Niepelt: Ja, die Privatsphäre ist bedroht; die Frage ist, ob sie mehr von staatlichen oder privaten Geldemittenten bedroht wird – man denke an Libra und Facebook. Und ja, einige Verfechter erhoffen sich von CBDC potentere Geldpolitik mit noch tieferen Zinsen zur Stützung der Konjunktur. So eine Geldpolitik wäre aber nur nach einer Abschaffung von Bargeld möglich und die ist in der Schweiz oder in Deutschland wohl nicht so rasch politisch durchsetzbar.

Dr. Götz Albert ist Managing Partner und CIO von Lupus alpha.

Dirk Niepelt ist Professor für Makroökonomie an der Universität Bern. Von 2005 bis 2022 war er zudem am Studienzentrum Gerzensee tätig, einer Stiftung der Schweizer Nationalbank, zuletzt als Direktor. Davor lagen Stationen an den Universitäten Stockholm und Lausanne sowie bei der EZB, dem IWF und der Notenbank St. Louis/USA. Der gebürtige Konstanzer studierte und promovierte an der Universität St. Gallen und hält einen PhD des Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Dr. Albert: Angesichts der vielen möglichen Folgen von CBDC: Wäre es nicht Aufgabe der Politik statt der Zentralbank, über die Einführung und Ausgestaltung zu entscheiden?

Prof. Niepelt: Das Thema muss in der Tat auch außerhalb der Zentralbanken breit diskutiert werden. Entscheiden muss am Schluss die Politik, nicht die Zentralbank, es sei denn, wir sprechen von einer Minimalvariante ohne dramatische Auswirkungen.

Dr. Albert: Welche Risiken sehen Sie mit Blick auf private Kryptowährungen wie Bitcoin? Und was halten Sie von dem Argument, dass die Inflationsgefahren wegen der begrenzten Menge an Bitcoin geringer sind als etwa bei Euro oder US-Dollar?

Prof. Niepelt: Bislang werden private Kryptowährungen wie Bitcoin vor allem als Anlagevehikel genutzt, nicht als Recheneinheit und auch nicht als Zahlungsmittel, es sei denn, Transaktionen sollen verschleiert werden. Als Spekulationsobjekt eignet sich der Bitcoin besser denn als Zahlungsmittel. Sollten in Zukunft dennoch breitere Bevölkerungsschichten Kryptowährungen in größerem Ausmaß halten, dann dürfte das die Regulatoren rasch auf den Plan rufen. Es geht um Anlegerschutz, aber auch darum, Vorkehrungen zu treffen, wenn private Kryptowährungen und -emittenten „too big to fail“ werden. Eine geldmengengetriebene Hyperinflation ist in der Tat ausgeschlossen, wenn die Menge an Coins limitiert ist. Aber der Wert des Bitcoins kann dennoch jederzeit kollabieren, wenn Anleger das Vertrauen verlieren, dass andere Anleger auch morgen noch für Bitcoin bezahlen werden. Preisübertreibungen, also Blasen, hat es in der Wirtschaftsgeschichte immer wieder gegeben. Schon mit den jetzt steigenden Zinsen könnten die Zweifel an der Nachhaltigkeit von Bitcoin-Anlagen wachsen.

Dr. Albert: Manche fordern, private Kryptowährungen ganz zu verbieten. Wie stehen Sie dazu?

Prof. Niepel: Da bin ich skeptisch. Zum einen wissen selbst Ökonomen nicht wirklich, wie Geld zu definieren ist. Wie soll man da etwas als Geld verbieten? Die Geschichte zeigt, dass vieles als Zahlungsmittel genutzt werden kann. Zum anderen: Wie wollte man so ein Verbot durchsetzen, gerade bei Kryptowährungen, deren Zahlungssystem ja dezentral organisiert ist? In einer freiheitlichen Gesellschaft sehe ich das als sehr schwierig an.

Dr. Albert: Herr Professor Niepelt, ich danke Ihnen für das Gespräch!

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