„In Sachen ESG gehen wir lieber gründlich als zu schnell vor“

Seit Anfang 2021 hat er den Hut auf für die Kapitalanlage der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL), der größten Zusatzversorgungskasse und einer der größten institutionellen Anleger Deutschlands. Die Neuausrichtung seines Bereichs ist in vollem Gange. Dr. Michael Leinwand über die von ihm angestrebte Anlagestrategie sowie seine persönlichen Dos and Don’ts in der Kapitalanlage.

Mit Dr. Michael Leinwand sprachen Ralf Lochmüller und Benjamin Wendel. Redaktion Anna-Maria Borse

leitwolf: Herr Dr. Leinwand, Sie sind seit gut einem Jahr im Amt und haben sich in den ersten Monaten vor allem um die personelle und organisatorische Neuausrichtung des Kapitalanlagebereichs gekümmert. Was haben Sie verändert?

Dr. Michael Leinwand: In meinem ersten Jahr lag der Fokus in der Tat auf Neueinstellungen und Reorganisation. Wir haben neun Stellen neu besetzt – kein leichtes Unterfangen in Corona-Zeiten, dennoch konnten wir hoch qualifizierte Mitarbeiter für uns gewinnen. Hauptmotivator war das unglaublich spannende Gestaltungsfeld und die Möglichkeit, bei der grundlegenden Neuausrichtung der VBL eine tragende Rolle zu übernehmen. Nun sind wir knapp 20 Mitarbeiter in der Kapitalanlage, dazu kommen noch 40 Mitarbeiter, die sich um den Immobilienbestand kümmern.

leitwolf: Inwiefern haben Sie auch die Anlagestrategie der VBL angepasst?

Dr. Michael Leinwand: Die Neuausrichtung ist auch hier noch in vollem Gange. Derzeit sind von den 60 Milliarden Euro in der Kapitalanlage 25 Prozent in Aktien investiert, 14 Prozent in Immobilien, 18 Prozent in Staats- und 13 Prozent in Unternehmensanleihen, der Rest in Alternatives wie beispielsweise CLO und in Geldmarktprodukten. Private Equity und Private Debt gehören noch nicht dazu. Diesen Bereich bauen wir auf, er soll ein großer Baustein werden. Wir gehen also definitiv in Richtung illiquiderer Anlagen.

Dr. Michael Leinwand im Gespräch mit Ralf Lochmüller, Gründungspartner und CEO von Lupus alpha.

leitwolf: Haben Sie ein konkretes Renditeziel?

Dr. Michael Leinwand: Wir haben zwar ein Renditeziel, dabei handelt es sich aber eher um ein endogenes Ziel. Es ergibt sich durch unsere Strategische Asset Allocation (SAA) und die Risikoprämien, die wir jeder Anlageklasse zuweisen. Meiner Einschätzung nach ist es für den Erfolg des langfristigen Investierens wichtig, den Anlageprozess in drei Schritte aufzuteilen. Im ersten Schritt geht es um die Definition der Anlagepolitik. Bei uns ergibt sie sich aus den Verbindlichkeiten, aber auch den Liquiditätsgegebenheiten und der Risikotragfähigkeit. Von daher messe ich einem klaren Asset-Liability-Management-Prozess große Bedeutung bei. Im zweiten Schritt entwickeln wir die SAA, also die Zusammensetzung der insgesamt sieben bis acht generischen Assetklassen. Mit jeder Anlageklasse verbinden wir eine bestimmte Risikoprämie, die sich aus unseren Erwartungen für die nächsten zehn Jahre ableitet. Ich bin überzeugt davon: Langfristig können wir über die SAA den größten Beitrag zur Performance liefern. Im dritten Schritt wird die SAA dann implementiert. Themen sind hier zum Beispiel die Differenzierung innerhalb einer Anlageklasse und gegebenenfalls auch die Auswahl externer Manager.

„Performance und Fee sind nachgelagerte Aspekte, entscheidend sind Investmentphilosophie und -prozess eines Managers.“

leitwolf: Der Fixed-Income-Bereich ist weiterhin von niedrigen Zinsen geprägt. Wie versuchen Sie, hier Risikoprämien zu vereinnahmen?

Dr. Michael Leinwand: Der Trend geht auch bei uns zu höheren Risiken im Portfolio. Das Risikomanagement spielt daher eine ­große Rolle, denn wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht versteckte Risiken ins Portfolio holen. Wenn wir auf die Risikoprämie „Illiquidität“ setzen, soll es das Illiquiditätsrisiko sein und kein anderes. Wir werden allerdings aus „Hygienegesichtspunkten“ immer auch sichere Staats- und Unternehmensanleihen halten, die auch Teil unserer SAA sind.

leitwolf: Wie diversifizieren Sie im Aktienbereich? Handelt es sich um aktiv oder passiv gemanagte Anlagen?

Dr. Michael Leinwand: Im Aktienbereich setzt die VBL weniger als früher auf Market Timing, da dies nicht meinem Verständnis des langfristigen Investierens entspricht. Wir investieren vielmehr strategisch. Mit der Aufteilung innerhalb des Aktienbereichs haben wir uns intensiv beschäftigt und uns letztlich für die klassische regionale Aufteilung entschieden. Innerhalb der regionalen Strukturen analysieren wir aber auch, ob ein bestimmter Stil von Vorteil sein könnte. Die Ziel­quoten sind im Übrigen nicht fix, sondern mit Bändern von rund drei Prozent nach oben und unten versehen, welche wir auch nutzen. Bei Marktrücksetzern können wir so zukaufen. Wenn etwas gut ­gelaufen ist, trennen wir uns davon.
Was das Thema aktiv/passiv angeht, bin ich davon überzeugt, dass bestimmte Manager mit bestimmten Stilen durchaus Alpha generieren können. Ihnen gilt unsere Präferenz. Wir setzen aber auch auf passive Strategien, vor allem, wenn es um kurzfristige taktische Engagements jenseits der langfristigen SAA geht.

leitwolf: Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Asset Manager aus?

Dr. Michael Leinwand: Es kommt natürlich auf die Anlageklasse an. Grundsätzlich ­suchen wir Manager, die über viele Jahre nachgewiesene Erfahrung in ihrem Segment haben und die zu uns passen. Wir schauen auch konkret auf die Unternehmenskultur: Wird in Teams gearbeitet oder handelt es sich um einen Star-Manager? Wie sieht das Risikomanagement aus? Wir wollen Partner, die auch noch in fünf oder zehn Jahren am Markt sind und die ihrem Stil treu bleiben, sich gleichzeitig aber auch entwickeln und auf neue Gegebenheiten einstellen.

Senior Relationship Manager Benjamin Wendel folgt den Ausführungen von Dr. Michael Leinwand zur Anlagestrategie der VBL.

leitwolf: Welche Rolle spielen historische Performance und Fees für Sie?

Dr. Michael Leinwand: Dass die historische Wertentwicklung keine Rolle spielt, wie mancher behauptet, würde ich nicht unterschreiben. Auch die Fee ist nicht unwichtig. Eine Anlageklasse darf ihren Charme durch die Fee nicht verlieren. Wir sind uns allerdings bewusst, dass für bestimmte Strategien ein hoher Einsatz und Know-how auf Managerseite nötig sind, was natürlich entlohnt werden muss. Die Faktoren Performance und Fee sind aber nachgelagert, entscheidend sind die Investmentphilosophie und der Investmentprozess, die uns überzeugen und auch in Krisenzeiten Bestand ­haben müssen.

Dr. Michael Leinwand (54) ist im Vorstand der VBL für die Kapitalanlage sowie die ­Ressorts Immobilienmanagement und Informationstechnologie verantwortlich. Er ist promovierter Volkswirt und startete seine Karriere bei der Dresdner Bank, danach managte er viele Jahre die Kapitalanlage von Versicherungsunternehmen wie Gothaer Asset Management und GenRe Capital. ­Zuletzt war Dr. Leinwand über zehn Jahre als CIO für die Kapitalanlagen aller Versicherungs- und Pensionsgesellschaften der Zurich Gruppe in Deutschland zuständig. Um den Kopf freizubekommen, arbeitet er gern in seinem großen Garten im Rheinland. Als „Kind des Ruhrgebiets“ hängt sein Fußballherz an den Vereinen RW Oberhausen und Borussia Dortmund.

leitwolf: Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit?

Dr. Michael Leinwand: Nachhaltiges Investieren ist für uns extrem wichtig, nicht nur weil es dringend notwendig ist, sondern auch aus Risikosicht. Wir vermeiden zum einen Nachhaltigkeitsrisiken über den Ausschluss kritischer Themenfelder. Zum anderen ver­suchen wir, durch ESG-Integration Nachhaltigkeitsrisiken zu verringern. Und wir bewirken Veränderung durch Engagement, also durch den Dialog mit Unternehmen, sowie durch gezielte Impactinvestments – etwa in Green Bonds.

leitwolf: Wie berücksichtigen Sie ESG-Kriterien in Ihren Anlageentscheidungen?

Dr. Michael Leinwand: Schwerpunktmäßig geht es um „E“, also Umweltthemen, doch auch soziale und Governance-Themen sind wichtig. Hier fehlt es leider noch oft an verlässlichen Daten. Greenwashing bleibt zudem ein großes Problem. Daher wollen wir unsere Hausaufgaben in Sachen ESG auch sehr sorgfältig machen – Schritt für Schritt, lieber gründlich als zu schnell. Wir wollen uns nicht nur an der Taxonomie orientieren, sondern Anlagen selbst durchdringen.

leitwolf: Herr Dr. Leinwand, Sie verfügen über langjährige Erfahrungen an den Kapitalmärkten in sehr unterschiedlichen Positionen und Funktionen. Was sind Ihre persönlichen Dos and Don’ts des Investierens?

Dr. Michael Leinwand: Für extrem wichtig halte ich Demut, denn die Selbstüberschätzung ist eine große Gefahr. Gute Entscheidungen werden im Team gefällt. Wichtig ist außerdem Disziplin im Anlageprozess. ­Erfolgreiches Investieren ist Handwerk und Kunst gleichermaßen: Handwerk ist der Umgang mit Daten, Kunst ist, das richtige Team zusammenzustellen – die richtige ­Person am richtigen Ort.

leitwolf: Herr Dr. Leinwand, vielen Dank für das Gespräch!

Vor dem Eingang der VBL in Karlsruhe: Dr. Michael Leinwand (Mitte) mit Ralf Lochmüller (rechts) und Benjamin Wendel (links).

Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL)

Die bereits 1929 gegründete Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) mit Sitz in Karlsruhe ist eine vom Bund und von den Bundesländern getragene Zusatzversorgungskasse für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Sie bietet Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenrenten sowie Versicherungsprodukte auf freiwilliger Basis für die zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge, etwa für Universitätsangestellte mit befristeten Verträgen. Mit rund 840 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist sie zuständig für 4,9 Millionen Versicherte, 1,4 Millionen Rentner und 5.300 beteiligte Arbeitgeber. Die VBL verwaltet aktuell ein Kapitalvermögen von rund 60 Milliarden Euro.

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