Kuppeln, schaufeln und verladen

Sicherheit und Effizienz beim Transport, das ist das Geschäftsmodell der JOST Werke. Ihre Kupplungsverbindungen zwischen Lkw und Anhänger kommen auf der Straße, der Baustelle oder im Hafen zum Einsatz. Mit der jüngsten Akquisition etabliert sich der weltweit führende Mittelständler gerade im Agrarmarkt. Portfolio Manager Jonas Liegl fühlt vor, wie der nächste Zukauf aussehen könnte.

Von Ina Lockhart

Am Empfang der JOST Werke in Neu-Isenburg, im Süden von Frankfurt am Main, kann der Besucher links oder rechts abbiegen. Links geht es zum Vorstand und zur Produktion. Rechts geht es zum Showroom, in dem die unterschiedlichsten Kupplungssysteme für die sichere Verbindung zwischen Lkw und Anhänger ausgestellt sind: schwere Metallgussteile, die JOST einkauft und durch eine spezifische Bearbeitung in hochwertige Lkw-Teile verwandelt.

Direkt nach dem Abbiegen fällt Jonas Liegl, Portfolio Manager bei Lupus alpha, die große Schaufel an der Wand gegenüber auf, die am Ende von zwei leistungsfähigen Metallgelenkarmen sitzt. Hier fehlt nur noch der Traktor. Dann könnte es losgehen zum Einsatz auf dem Feld, der Baustelle, dem Recyclinghof oder im Steinbruch. Je nach Einsatzort können die Metallgelenkarme mit den unterschiedlichsten Werkzeugen, sogenannten Implements, ausgerüstet werden, die dann vom Fahrer per Joystick und Touchscreen bedient werden. Allein bei den Schaufeln kann der Kunde bereits aus mehr als zehn verschiedenen auswählen. „Für jede erdenkliche Anwendung gibt es ein eigenes Implement“, sagt Dr. Christian Terlinde, der seit Januar 2019 als Finanzvorstand für den Mittelständler tätig ist.

Den Frontlader, so heißen die robusten Metallgelenkarme im Fachjargon, stellt das schwedische Unternehmen Ålö unter dem Markennamen Quicke her. Es ist der jüngste Neuzugang in der JOST Familie, die damit seit Anfang 2020 aus fünf verschiedenen Marken besteht: JOST, Rockinger, Edbro, TRIDEC und Quicke. Ein Lkw-Outsider braucht ein Schaubild, um ansatzweise zu verstehen, wo und wie Sattelkupplungen, Königszapfen, Stützwinden, Achsensysteme, Kugellenkkränze, Anhängekupplungen, Zwangslenksysteme, Zuggabeln, Frontlader und Hydrauliksysteme zum Einsatz kommen.

Aktuelle Innovation bei JOST: Das voll automatisierte Kupplungssystem für Sattelzüge (KKS) spart bei sechs Kupplungsvorgängen schon eine Stunde Fahrerzeit.

Angefangen hat alles in Neu-Isenburg vor fast 70 Jahren mit einer kleinen Schmiede, die genau dort steht, wo das mittlerweile global tätige Unternehmen heute noch seinen Hauptsitz hat. Dessen Gründer, Joseph Steingass, macht sich dort mit der Fertigung von Kugellenkkränzen – Stahlringe, die eine drehbare Verbindung zwischen Zugfahrzeug und Anhänger schaffen – selbstständig und tauft sein Unternehmen nach einer Kombination aus den Anfangsbuchstaben seines Vor- und Nachnamens. Die Amerikaner, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Neu-Isenburg in der Nähe des Flughafens stationiert sind, werden zu treuen Kunden von Steingass. Sie benötigen Wartung und Ersatzteile für die Kupplungssysteme ihrer militärischen Transportfahrzeuge.

1955, drei Jahre nach der Eröffnung seiner Schmiede, lässt sich Steingass die heute gängige Sattelkupplung, die das Be- und Entladen von Lkws vereinfacht, patentieren. Später übernimmt der Gründungspartner, die Familie Breuer, die unternehmerische Führung von JOST. Schnell entscheidet sich die Familie zu expandieren: als Erstes in den 1960er-Jahren nach Südafrika und Großbritannien, in den 1970er-Jahren dann innerhalb Europas. Später geht es nach Russland, schon in den frühen 1990er-Jahren nach China und schließlich nach Indien. Heute betreibt JOST 23 Produktionsstandorte weltweit und ist in 25 Ländern vertreten. Aus der Einmannschmiede ist in den 70 Jahren ein Arbeitgeber von 3.500 Beschäftigten geworden.

Die direkten Kunden von JOST sind die Lkw- und Anhängerhersteller, die OEMs. Damit sich jedoch die Flottenunternehmen bei der Lkw- oder Anhängerbestellung eine Ausstattung mit JOST Markenprodukten wünschen und sich nicht für die Konkurrenz wie SAF-Holland oder Fontaine entscheiden, pflegen die Neu-Isenburger auch einen engen Kontakt zu den Endkunden. Gemeinsam diskutieren sie Anwendungsgebiete und entwickeln Spezifikationen für neue Produkte. Gleichzeitig geht JOST regelmäßig Entwicklungspartnerschaften mit den OEMs ein und bildet dafür spezielle Teams. Mit dem OEM-Geschäft erzielt JOST rund 70 % seines Umsatzes. Das Ersatzteilgeschäft, das aber deutlich margenstärker ist, macht den Rest aus. „Die höhere Marge ist auf den teureren Einzelverkauf der Ersatzteile zurückzuführen, denn der Kunde will einen fahrtüchtigen Lkw so schnell wie möglich wiederhaben“, erklärt Romy Acosta, Leiterin Investor Relations bei JOST.

Blick in die Produktionshalle. Hier werden schwere Metallgussteile zu hochwertigen Sattelkupplungen verarbeitet.

Drei Mal in seiner Unternehmensgeschichte ist JOST durch die Hände von Private Equity-Investoren gegangen. Der letzte, Cinven, entschied sich dann nach acht Jahren für den Ausstieg über die Börse. Am 20. Juli 2017 notierten die Inhaberaktien erstmals im Frankfurter Prime Standard. Die Aktien wurden in einer Privatplatzierung an institutionelle Investoren zum Preis von 27 Euro ausgegeben. Derzeit kostet die Aktie rund 54 Euro.

Mit dem Börsengang sind verschiedene institutionelle Investoren eingestiegen, die auch heute noch Anteile an JOST halten. Rund 38 % sind in Händen von Investoren, die jeweils mehr als 5 % der Anteile halten, die restlichen 62 % sind breit gestreut. Davon, schätzt IR-Chefin Acosta, entfallen rund 15 Prozentpunkte auf Privatanleger. Lupus alpha hält über verschiedene Fonds und Mandate derzeit gut 3 % an JOST. „Ich bin froh, dass wir strategische Investoren haben, die uns auch in herausfordernden Zeiten wie 2020 die Treue halten“, sagt CFO Terlinde.

„Herausfordernd“ ist eine Untertreibung für das Corona-Jahr 2020. Dabei fängt es doch so vielversprechend an: JOST ist gerade dabei, die im Dezember 2019 angekündigte Übernahme der Ålö Holding AB abzuschließen. Neben STOLL und MX sind die Schweden einer der führenden Hersteller von Frontladern. „Ålö befand sich in der Hand eines Private Equity-Fonds. Die Mitarbeiter und die Unternehmensleitung suchten nach einem industriellen Eigentümer. So wurde unser Zukauf zu einer gewünschten Übernahme, was die Integration enorm erleichtert“, sagt Dr. Christian Terlinde.

„Ich bin froh, dass wir strategische Investoren haben, die uns auch in herausfordernden Zeiten wie 2020 die Treue halten.“

Mit Ålö wollen die Deutschen stärker in den Agrarmarkt einsteigen sowie den Grundstein legen für weiteres Wachstum. Gleichzeitig sichern sie sich noch mehr Expertise für die Entwicklung zukunftsfähiger Systeme, die die Forschungsaktivitäten von JOST im Bereich autonomes Kuppeln weiter unterstützen. „Mit Ålö hat sich JOST Mechatronikkompetenz zugekauft – also die Fähigkeit, Wissen aus den Bereichen IT, Elektronik und Maschinenbau gebündelt anzuwenden“, sagt Jonas Liegl, der bei Lupus alpha zusammen mit Franz Führer den erfolgreichen Lupus alpha Micro Champions verantwortet.

Wie die erworbene Kompetenz künftig in der Entwicklung genutzt werden könnte, zeigt das mittlerweile marktreife, voll automatisierte Kupplungssystem für Sattelzüge (KKS). Der Fahrer muss nicht mehr aus seiner Fahrerkabine aussteigen und über das Zugfahrzeug zur Kupplung klettern, sondern kann den Vorgang sicher und bequem vom Fahrersitz aus fernsteuern. Zukünftig soll das System auf Kundenwunsch direkt von Lkw- und Anhängerherstellern montiert werden.

Die Investition in das KKS, das beim Nachrüsten deutlich teurer ist, lohnt sich beispielsweise für Flottenunternehmen, die in voll automatisierten Häfen Anhänger bewegen oder Transporte mit vielen Kupplungsvorgängen am Tag haben. „Das KKS spart bei sechs Kupplungsvorgängen schon eine Stunde Fahrerzeit“, sagt Dr. Terlinde. Für Portfolio Manager Liegl setzt das neue Produkt vor allem ein Signal: „KKS ist für JOST wichtig, um technologisch Marktführerschaft und Innovationskraft zu zeigen.“

Angefangen hat alles vor fast 70 Jahren mit einer kleinen Schmiede in Neu-Isenburg, wo JOST heute noch seinen Hauptsitz hat.

Finanzvorstand Dr. Christian Terlinde im Gespräch mit Jonas Liegl.

Zurück zum Jahresbeginn 2020. Ende Januar wird die Übernahme von Ålö vollzogen. Jetzt soll es losgehen mit den Reisen und den gegenseitigen Besuchen in Neu-Isenburg und Umeå in Mittelschweden. Die Deutschen wollen ihre starke Marktposition und ihr weltweites Netzwerk nutzen, um die Frontlader der Marke Quicke in Asien, Afrika und Lateinamerika zu etablieren. Neue Werke müssen vor Ort gebaut werden.

Doch dann kommt Corona: eine Vollbremsung des öffentlichen, privaten und wirtschaftlichen Lebens von heute auf morgen. JOST bekommt das Virus unmittelbar zu spüren: „Wir hatten das Pech, dass unser größtes Werk in China mitten im Sperrgebiet des Pandemiezentrums lag, in Wuhan“, sagt Dr. Christian Terlinde rückblickend. „Volle zwei Monate war das Werk geschlossen.“ Ein Vorgeschmack auf die medizinische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ausnahmesituation, die das Leben weltweit in den folgenden Monaten diktieren wird. Doch keiner ahnt das Ausmaß. Auch der dreiköpfige JOST Vorstand nicht.

„Definitiv gibt es weiteres Potenzial für Zukäufe, getrieben durch den relativ hohen Free Cashflow.“

Am 16. März geht Deutschland in den ersten Lockdown. Eine Woche später präsentiert Joachim Dürr, der im Oktober 2019 den langjährigen Vorstandsvorsitzenden Lars Brorsen abgelöst hat, die Ergebnisse und muss wegen der Corona-Krise den bisherigen Geschäftsausblick kassieren: Eine zuverlässige Aktualisierung der Prognose sei unter den sich rasant ändernden Umständen nicht möglich. Hätte Dürr und Finanzvorstand Terlinde zu dem Zeitpunkt jemand gesagt, dass JOST im Jahr eine operative Marge von 9 % erzielen würde, der Umsatz ohne Übernahmeeffekte „nur“ um 16 % auf 618,7 Millionen Euro zurückgehen und der freie Cashflow um knapp 64 % wachsen werde, hätten sie es nicht für möglich gehalten. Das Geschäftsmodell erweist sich aber als flexibel genug, um mit konsequenten Kostensenkungen, rigidem Forderungsmanagement und einer wenig kapitalintensiven Eigenfertigung die temporäre Corona-Lähmung der Weltwirtschaft auszuhalten.

Die „Local-for-local“-Strategie zahlt sich aus: weltweit an verschiedenen Standorten präsent zu sein, um dort direkt die lokalen Märkte zu bedienen. „Wir konnten liefern, als viele andere dies nicht konnten“, sagt Dr. Terlinde. Der regionale Umsatzmix, in dem Europa 47 %, Asien-Pazifik 24 % und Nordamerika 21 % ausmachen, hilft mit: Der chinesische Markt hatte sich schon wieder erholt, als pandemiebedingt die Nachfrage in Europa und in Nordamerika im zweiten Quartal einbricht. Gleichzeitig hat das zugekaufte und eher nichtzyklische Geschäft mit Agrarkunden einen stabilisierenden Effekt: In Nordamerika verwandelt der Umsatzbeitrag von Ålö einen Rückgang von 23 % in eine Steigerung um 6,5 %.

Facts zu den JOST Werken

Nettoumsatz: 794,4 Mio. Euro (618,7 Mio. Euro1)
Nettoergebnis: 19,3 Mio. Euro (47,3 Mio. Euro2)
EBIT-Marge: 9,2 %2
Anzahl Mitarbeiter: 3.500
Marktkapitalisierung (per 31.03.2021):  806,1 Mio. Euro
Aktionärsstruktur: 95 % Streubesitz, davon 62 % < 5 %-Anteil

1 Organisch ohne Übernahmeeffekte.
2 Bereinigt um Sondereffekte.

per 31.12.2020

Gerade die Finanzstärke von JOST weckt Übernahmefantasien bei Portfolio Manager Liegl, der 2020 von AGI zu Lupus alpha kam: „Definitiv gibt es weiteres Potenzial für Zukäufe, getrieben durch den relativ hohen Free Cashflow von 98 Millionen Euro.“ Liegl, der JOST bereits seit mehreren Jahren kennt, hält eine Diversifizierung im Agrarmarkt für wahrscheinlicher als im Lkw-Bereich, in dem das Komponentengeschäft nicht so vielfältig ist. „Weitere Akquisitionen könnten dort gut angedockt werden.“

Doch jetzt will der CFO erst einmal die Synergien nutzen, die durch den Kauf der Schweden entstanden sind: „Wir sind nun in der Phase, in der wir gemeinsam in Ausschreibungen für den Einkauf gehen und von unseren größeren Einkaufsvolumina profitieren wollen. Mit den Pflichten jeder Integration, was die Teams, Arbeitsaufteilung und Rechnungslegung angeht, sind wir durch.“

„Angesichts unseres Marktanteils von mindestens 50 % bei unseren Kernprodukten sind Übernahmen im Bereich der Produkte für Lkw und Anhänger nahezu ausgeschlossen“, bestätigt Dr. Christian Terlinde im Gespräch mit Liegl. „Wir werden uns in der Landwirtschaft weiter umschauen, haben aber nichts Konkretes im Blick. Ob das wieder so groß wird wie Ålö mit 200 Millionen Euro Umsatz, ist fraglich. Auf jeden Fall suchen wir nach weiteren Wachstumsopportunitäten. Die Akquise eines Start-ups, um sich einen deutlichen Entwicklungsvorsprung einzukaufen, wäre ebenfalls eine Option.

Und er will natürlich das nachholen, was Corona den Mitarbeitern bislang verwehrt hat: Reisen, damit sich die Kollegen in Neu-Isenburg und Umeå endlich einmal persönlich gegenüberstehen.

Perlen im Mittelstand

Small & Mid Caps bieten Anlegern den Zugang zur gesamten Produktvielfalt unserer Welt. Viele dieser Unternehmen, wie auch das Beispiel der JOST Werke zeigt, sind zwar namentlich oft unbekannt, haben jedoch häufig eine hohe internationale Präsenz und Bedeutung in ihrem Segment. Gerade im Mittelstand finden sich solche „Perlen“ mit klarer Wettbewerbsposition, die durch hohe Markteintrittsbarrieren oder Patente geschützt sind. Meist handelt es sich um Nischenplayer mit fokussiertem Geschäftsmodell, überdurchschnittlichem Ertragspotenzial und hoher Innovationskraft. Viele sind Weltmarktführer in ihrer Branche, was ihnen ermöglicht, in jedem Umfeld Gewinne zu erzielen, unabhängig von der konjunkturellen Lage. Die Vielfalt ihrer Produkte und Dienstleistungen spiegelt sich in dem Universum der rund 2.000 börsennotierten Small & Mid Caps in Europa eindrucksvoll wider. Durch sorgfältige fundamentale Analyse lassen sich daraus spannende, renditestarke Unternehmen selektieren. Wichtig ist uns dabei aber auch in Corona-Zeiten: Wir wollen nicht nur über Zahlen, Bilanzen und Finanzplanungen brüten. Wir suchen das Gespräch vor Ort und interessieren uns detailliert für die Produkte, die Technologien und Innovationen der Unternehmen. Denn nur so können wir zu einer verlässlichen Einschätzung der künftigen Entwicklung kommen.

DR. GÖTZ ALBERT,
MANAGING PARTNER UND CIO VON LUPUS ALPHA

Inhalt Ausgabe 007