„Künstliche Intelligenz soll Mitarbeiter unterstützen“

Ob Kugelkopfschreibmaschine, PC oder der Barcode – Innovationen von IBM gehören zum Alltag jeder Generation. Heute dreht sich bei IBM alles um Cloud-Lösungen und künstliche Intelligenz (KI). Matthias Hartmann, Vorsitzender der Geschäftsführung von IBM Deutschland, und Ralf Lochmüller im Gespräch über Customer Co-Creation, den Umgang mit Daten und die digitale Bildungspolitik in Deutschland.

Redaktion Kathrin Lochmüller

leitwolf: Herr Hartmann, „IBM Watson“ steht für ein KI-System, das lernen, argumentieren und in natürlicher Sprache mit Menschen interagieren kann. Die Quizsendung Jeopardy!, in der Watson gegen zwei menschliche Top-Spieler gewonnen hat, ist legendär. Wofür können Unternehmen Watson einsetzen?

MATTHIAS HARTMANN: Watson ist der Familienname unseres Gründers und steht für alle Services, die wir im Kernfeld KI anbieten. Dabei hat sich Watson fundamental weiterentwickelt: Was vor sieben Jahren, als wir bei Jeopardy! in den USA den ersten KI-Aufschlag gemacht haben, noch eine hochgradig inte­grierte, dicke Maschine im Keller war, ist heute eine offene Plattform, die in Cloud-Lösungen für unsere Kunden verfügbar ist. Typische Services, die Watson bietet, sind zum Beispiel Sprach- oder Texterkennungsdienste. Watson ist aber auch integraler Bestandteil in Sicherungsprodukten zum Beispiel für die Abwehr von Cyberangriffen.

leitwolf: Sie sagten, dass Watson eine offene Plattform ist. Können Sie das erklären?

MATTHIAS HARTMANN: Viele Wettbewerber schaffen ein geschlossenes Ökosystem, um ihre Produkte zu vermarkten. Wir gehen ganz bewusst einen anderen Weg, weil wir von dem Gedanken der Open Source überzeugt sind. Wir möchten unseren Kunden die Offenheit und Freiheit bei der Wahl ihrer Systeme erhalten. Ein Beispiel: Viele Unternehmen haben ihre Daten auf unterschiedlichen Cloud-Plattformen geparkt, teilweise sind es bis zu 16 Cloud-Anbieter, die Unternehmen gleichzeitig nutzen. Da ist es unwahrscheinlich, dass alle Datenanalysen von uns kommen. Mit „Watson Anywhere“ werden Unternehmen unsere KI-Lösungen künftig über die unterschiedlichen Serverfarmen hinweg nutzen können, etwa bei Google, Amazon oder Microsoft. Wie wichtig uns das Thema Open Source ist, zeigt auch die jüngste Akquisition des Linux-Anbieters Red Hat. Wir partnern ja bereits mit Red Hat und haben übrigens in dieser Partnerschaft den meisten Open-Source-Code der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt.

Ralf Lochmüller im Gespräch mit IBM Deutschlandchef Matthias Hartmann (links).

leitwolf: Herr Lochmüller, KI hat längst auch in die Finanzbranche Einzug gehalten – sei es in Form der Robo-Advisor oder der Blockchain-Technologie. Wie positioniert sich Lupus alpha beim Thema KI?

RALF LOCHMÜLLER: In der Fondsindus­trie gibt es inzwischen eine Vielzahl von ­Anwendungen, wo KI-Techniken eingesetzt werden – von der Datenanalyse, über das Vertragswesen bis hin zur Kundenkommunikation, um nur einige zu nennen. Was für mich als Chef eines Asset Managers aber wirklich wichtig ist, ist die Frage, was die Technologie für das Portfolio-Management bedeutet. Aktives Fondsmanagement ist das Kerngeschäft von Lupus alpha, unsere DNA, und der Faktor Mensch spielt bei der Erzielung des raren Guts „alpha“ bisher die entscheidende Rolle. Kann es zukünftig wirklich sein, dass Algorithmen die besseren Anlageergebnisse liefern als der menschliche Manager, dass der Fondsmanager aus Fleisch und Blut ersetzt wird durch eine Armee von Robotern? Ich bezweifle das.

leitwolf: Warum glauben Sie, dass der Mensch hier die Nase weiter vorn haben wird?

RALF LOCHMÜLLER: Erfolgreiches aktives Fondsmanagement ist immer eine Kombination aus solidem Handwerk und „Kunst“. Die handwerklichen Tätigkeiten werden intelligente IT-Systeme immer mehr übernehmen. Zur Alpha-Generierung reicht das allein aber nicht. Es braucht mehr – es braucht Kreativität, es braucht gut eingespielte Teams mit exzellentem Urteilsvermögen, um aus der Fülle der Daten ein nachhaltig erfolgreiches Investment zu machen.

MATTHIAS HARTMANN: Diese Mensch-oder-Maschine-Diskussion führen wir auch in unserer Branche intensiv. Wir vertreten dabei den Standpunkt, dass KI Mitarbeiter nicht ersetzen, sondern sie in ihrer Tätigkeit unterstützen sollte – und das möglichst schnell, fehlerfrei und vor allem vorurteilsfrei. Letzteres ist zum Beispiel bei KI-Einsatzfeldern wie der Prüfung von Kreditanträgen oder bei Entscheidungen über Bewerbungen von Bedeutung. Hier gibt es zu Recht Diskussionen über mögliche diskriminierende Entscheidungen, die sich über fehlerhafte Datensätze in die Systeme einschleichen. IBM bringt sich aktiv für vorurteilsfreie Analysen ein.

leitwolf: Sie haben das Thema Ethik und Transparenz beim Einsatz von KI bereits angesprochen. Herr Hartmann, wie gehen Sie bei IBM mit dem Thema Daten und Datenschutz um?

MATTHIAS HARTMANN: Wir nehmen den ethischen Umgang mit Daten sehr Ernst. Neben dem Grundsatz, dass der Mensch durch KI nicht überflüssig werden soll, sind uns zwei weitere Grundsätze sehr wichtig: Erstens, dass die Data Ownership beim Kunden liegt – wir betreiben kein Datenverwertungsmodell, sondern achten die Rechte, die der Kunde an seinen Daten hat – und zweitens, dass der Umgang mit Big Data zu jeder Zeit nachvollziehbar und transparent sein muss. Für diese Grundsätze setzen wir uns auch in den entsprechenden politischen Gremien ein.

leitwolf: Herr Lochmüller, wie tragen Sie ethischen Kriterien in Ihren Anlagestrategien Rechnung?

RALF LOCHMÜLLER: Wir konzentrieren uns auf ganz wenige Spezialthemen, dazu zählen Volatilitätsstrategien, Wandelanleihen, CLOs und Small & Mid Caps. Da viele unserer Kunden aus dem kirchlichen Bereich kommen, setzen wir diese Alpha-Strategien auf Kundenwunsch schon seit vielen Jahren auch nach ethischen Kriterien um. Konkret heißt das, dass Aktien oder Anleihen von Unternehmen, die beispielsweise in der Rüstungs- oder Tabakindustrie tätig sind, die Menschenrechte verletzen oder keine ordentliche Corporate Governance aufweisen, systematisch aus dem Anlageuniversum ausgeschlossen werden. Die Entwicklung geht hier weiter – zu einem ganzheitlichen Portfolio-Ansatz. Auf der Publikumsseite haben wir im letzten Jahr den Lupus alpha Sustainable Convertible Bonds aufgelegt. Ein weiterer nachhaltiger Publikumsfonds ist derzeit in Planung.

leitwolf: Sie betonen beide, dass Sie stets die Bedürfnisse Ihrer Kunden im Auge haben. Wann und wie haben Ihre Kunden Einfluss auf die Entwicklung neuer Produkte?

MATTHIAS HARTMANN: Innovationen entstehen heute mehr und mehr mit dem Kunden. Nehmen Sie unser IBM Watson IoT Center in München. Es ist das erste KI-Center, das außerhalb der USA eine globale Mission hat und das 20 Nationalitäten für Entwicklungen im Bereich Internet of Things (IoT) als Produktentwicklungslabor nutzen. Es lebt vor allem davon, dass neue Lösungen in Co-Creation mit Kunden entwickelt werden. Rund ein Dutzend Kunden, unter ihnen BNP Paribas und BMW, aber auch Forschungseinrichtungen wie Fortis oder die TU München, arbeiten fest in dem Center und treiben gemeinsam mit uns die Themen voran. Und das nicht mehr in langatmigen Entwicklungsprozessen, sondern über agile „Garage“-Konzepte in kleinen Teams, die Produkte schnell entwickeln, erproben – und auch wieder verwerfen können.

„Wir nehmen den ethischen Umgang mit Daten sehr ernst.“

RALF LOCHMÜLLER: Auch wir bauen intensiv auf die Einbeziehung unserer Kunden. Unsere Kunden sind wichtige Impulsgeber für die Entwicklung neuer Investmentlösungen und helfen uns, unser Angebot stetig weiterzuentwickeln. Beispielsweise war die konkrete Nachfrage eines Kunden die Initialzündung für unser Risiko-Overlay. Darüber hinaus entwickeln wir aber auch Strategien, bei denen wir selbst einen Zusatznutzen für unsere Kunden erkennen, und stellen diese dann einem ausgewählten Kundenkreis in Workshops oder individuellen Gesprächen vor. Die Rückmeldungen, die wir hier erhalten, fließen dann in den weiteren Entwicklungsprozess ein.

leitwolf: Herr Hartmann, wie drücken sich Ihre Forschungsaktivitäten in Zahlen aus?

MATTHIAS HARTMANN: Innovation und Forschung haben eine lange Tradition bei IBM. Wir investieren jedes Jahr rund 5 % unseres Umsatzes in F&E. Wir sind zum 26. Mal in Folge Patentweltmeister geworden mit 9.100 Patenten, davon 1.600 Patente zum Thema Cloud, KI und Blockchain, 600 Patente kommen dabei aus Deutschland und der Schweiz. Patente sind zwar keine Garantie für geschäftlichen Erfolg, aber sie sind ein gutes Indiz dafür, wer in Sachen Innovation vorn mitspielt.

leitwolf: Herr Lochmüller, Patente gibt es in der Finanzbranche ja leider nicht. Wie schützen Sie neue Ideen?

RALF LOCHMÜLLER: Wirklich schützen lassen sich neue Ideen in unserer Branche nicht, rein theoretisch kann man unsere Strategien nachbauen. Was man aber nicht nachbauen kann, ist das besondere Know-how unseres Fondsmanagements, das sich über viele Jahre aufgebaut und entwickelt hat. Das Team, das dahinter steht, ist daher unheimlich wichtig. Dies zeigt sich zum Beispiel bei unserem wöchentlichen Investmentmeeting: Das ist wie eine „Kernschmelze“, da wird um jede Aktie gekämpft – welche rein darf ins Portfolio, welche raus muss. In dem Meeting herrscht eine sehr offene Kultur, da begegnen sich alle auf Augenhöhe.

MATTHIAS HARTMANN: Ja, exzellente interdisziplinäre Teams sind ein wichtiger Faktor, um langfristig erfolgreich zu sein. Darauf setzen wir auch bei der IBM. Was die Forschung und Entwicklung betrifft, ist Deutschland im Übrigen ein hervorragender Standort. Wir haben sehr gute Universitäten und Institute, um die uns viele beneiden. Beim Thema ­KI-Forschung sind wir sogar Vorreiter. Nur bei dessen Umsetzung und Kommerzialisierung laufen uns andere Länder mal wieder den Rang ab.

leitwolf: Was muss passieren, damit Deutschland ein Top-Standort für Digitalisierung und KI wird?

Innovationsmaschine mit hundertjähriger Tradition

Es gibt derzeit kaum ein Unternehmen, das sich nicht mit dem Thema KI beschäftigt. Und doch stehen Unternehmen in jeder Branche dabei vor ganz eigenen Herausforderungen. Den Unterschieden, aber auch den Parallelen wollte Ralf Lochmüller, Managing Partner und CEO von Lupus alpha, auf den Grund gehen und hat dazu Matthias Hartmann, Vorsitzender der Geschäftsführung von IBM Deutschland, zum Innovationsdialog gebeten. Hartmann sitzt im Herzen einer Innovationsmaschine. Seit Gründung im Jahr 1911 hat sich der globale Technologiekonzern immer wieder selbst erfunden und treibt innovative Technologien wie KI, Cloud, Blockchain und IoT (Internet of Things) in über 50 F&E-Centern und 12 Labs weltweit erfolgreich voran. So hat IBM beispielsweise zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) den Wettlauf um das erste autonome KI-System im All gewonnen: Auf der jüngsten ISS-­Mission von Alexander Gerst war auch CIMON mit von der Partie – eine medizinballgroße und fünf Kilogramm schwere Kunststoffkugel, die dem Astronauten auf Basis der IBM-Watson-Techno­logie im All assistiert hat.

RALF LOCHMÜLLER: Bevor wir zu den Forderungen kommen, lassen Sie uns noch mal auf unsere Stärken blicken: Wir haben einen unglaublich dynamischen, innovativen Mittelstand in Deutschland, der aus sich he­raus in F&E investieren kann – ohne große externe Hilfe. Mit der Industrie 4.0 haben wir darüber hinaus eine gute Basis, die Industrie erfolgreich in die digitale Zukunft zu führen. Und gerade hier haben wir den Amerikanern viel voraus. Der CEO eines unserer Portfolio-Unternehmen drückte es kürzlich so aus: „Ein Weltmarktführer aus dem deutschen Mittelstand kann vom Silicon Valley nichts lernen.“ Bei den vielen Unternehmen in Deutschland, die in ihrer Nische seit Jahren Marktführer sind, müsste es uns doch eigentlich gelingen, einen eigenen Weg für das Thema KI zu finden.

MATTHIAS HARTMANN: Die Bundesregierung hat mit ihrer KI-Strategie ja endlich einen ersten Aufschlag gemacht. Allerdings reichen die bereitgestellten Mittel von drei Milliarden Euro nicht annähernd aus, um im weltweiten Wettbewerb zu bestehen. Dafür müsste eine viel schnellere Bündelung der europäischen Kräfte her, als aktuell erkennbar ist. Außerdem müssen wir deutlich mehr im Bereich digitale Bildung tun. Das heißt nicht nur, Schulen mit Laptops auszustatten und in den Ausbildungs- bzw. Universitäts­bereich zu investieren, sondern auch in die bestehenden Belegschaften, in die Menschen, die sich in der Mitte ihrer Karriere befinden, also bereits 10–20 Jahre im Job sind. Diese müssen systematisch auf die neuen Technologien vorbereitet und qua­lifiziert werden. Nur auf den Nachwuchs zu setzen, wird in Quantität und Qualität nicht ausreichen, um das Thema KI zu stemmen.

leitwolf: Herr Hartmann, Herr Lochmüller, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Matthias Hartmann ist seit Januar 2018 Vorsitzender der Geschäftsführung der IBM Deutschland GmbH sowie General Manager für Deutschland, Österreich und die Schweiz. In seinen 25 Jahren bei IBM war der gebürtige Hesse und Vater von drei Kindern in verschiedenen Managementpositionen verantwortlich u. a. für die Branchenberatung des Consultingbereichs sowie die Strategie von IBM Global Business Services. Von 2011 bis 2017 war er Vorstandsvorsitzender der GfK SE.
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