Am laufenden Band

Der Weg ist das Ziel. Im Lager und im Logistikzentrum. Das Schweizer Unternehmen Interroll sorgt mit seinen Förderrollen, Trommelmotoren sowie Förder- und Sortieranlagen dafür, dass der Warentransport bei DHL, Amazon & Co zuverlässig funktioniert. Portfolio-Manager Gerald Rössel wirft einen Blick hinter die Kulissen des Weltmarktführers für Intralogistik.

Von Ina Lockhart

Im Glaskasten blitzt es. An verschiedenen Stellen. Immer wieder. Ein rhythmisches Blitzlichtgewitter rund um die Uhr, denn in Hückelhoven-Baal bei Mönchengladbach stehen die Maschinen nicht still. Hier fertigt Interroll im Drei-Schicht-Betrieb eines seiner Hauptprodukte: Trommelmotoren, die Förderbänder antreiben und die es in verschiedenen Größen gibt. Nichts wird auf Vorrat produziert, alles nur nach Kundenvorgaben. Kein Wunder, dass es von Interroll 16.000 verschiedene Trommelmotoren und 500.000 verschiedene Förderrollen gibt.

In dem Glaskasten setzen Roboter die Motorgetriebe zusammen. Jedes Teil, das verbaut wird, hält der Roboterarm in die Kamera, bis es blitzt. Zehn Kameras sind dafür an verschiedenen Stellen im Einsatz. So wird fotografisch kontrolliert, ob die zugelieferten Teile qualitativ einwandfrei sind. Falls nicht, verbannt der Roboter sie aus dem Fertigungskreislauf. Die Rutschfahrt der mangelhaften Teile endet in einem roten Kasten.

Mitarbeiter Andreas Schurse überwacht außerhalb des Glaskastens den Prozess am Bildschirm und setzt in einem der letzten Schritte die Planetenträger des Getriebes ein. Geschäftsführer Dr. Hauke Tiedemann, der das Werk und die Interroll Trommelmotoren GmbH leitet, leiht sich bei Schurse kurzerhand ein fertiges Getriebe aus und zeigt seinem Besucher, dem Portfolio-Manager Gerald Rössel, der bei Lupus alpha das Investment Interroll betreut, das kleinteilige Innenleben des Getriebes und erklärt: „Zum Schluss ist der Mensch gefragt mit dem richtigen Gefühl für die empfindlichen Teile und der nötigen Feinmotorik.“

Rössel managt zusammen mit Marcus Ratz den Lupus alpha Pan European Smaller Companies. Regional ist er für Großbritannien und die Schweiz zuständig. Auf Produktebene verantwortet er paneuropäische Portfolios mit ethischer Ausrichtung. Derzeit ist Lupus alpha mit rund 1 % an Interroll beteiligt.

Die Trommelmotoren gehören zur Produktgruppe Motoren und Antriebe für Förderanlagen, die im Jahr 2018 rund 31 % des Konzernumsatzes von 559,9 Millionen Schweizer Franken generiert hat. Gleichauf liegt der Geschäftsbereich Förderer und Sorter. Förderrollen machen 19 % aus, 11 % steuert der vierte Geschäftsbereich Pallet & Carton Flow für Fließlager bei. Das Unternehmen – ursprünglich gegründet von Dieter Specht und Hans vom Stein im deutschen Wermelskirchen – feiert dieses Jahr sein 60-jähriges Jubiläum. Seit 1997 ist die Aktie in Zürich notiert. 81 % befinden sich im Streubesitz, die restlichen 19 % liegen bei den Gründerfamilien.

Trommelmotoren treiben Förderbänder an, Förderrollen transportieren direkt das Stückgut. Gurtkurven und vertikale Transportbänder, die sich spiralförmig nach oben auf die nächste Förderebene schrauben, nutzen den vorhandenen Platz optimal aus. Integrierte Sortiermodule, die sich einseitig leicht anheben, sorgen dafür, dass das Transportgut im richtigen Moment über die entsprechende Rutsche die richtige Ausfahrt nimmt. Beispielsweise ein Paket bei Amazon, das auf dem oft 100 Meter langen Band in seinem Postleitzahlbereich angekommen ist.

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Facharbeiter Andreas Schurse lernt zwei neue Drehmaschinen an, deren Roboter zukünftig selbstständig die Röhren für die Trommelmotoren fertigen sollen.

Mit der im Februar eingeführten DC Platform werden Daten über Position, Gewicht und Geschwindigkeit des Transportguts bei Rollenförderern verfügbar gemacht. „Das ist essenziell für Roboteranwendungen, die in Industrie-4.0-Prozessen eine wichtige Rolle spielen“, sagt Vorstandschef Paul Zumbühl im Gespräch mit Portfolio-Manager Rössel, der die Aktie im Oktober 2018 gekauft und die Börsenkorrektur im November für eine Auf­stockung der Position genutzt hat.

„Interroll macht uns als Investor Spaß, weil das Management zuverlässig ist und unglaublich hohe Qualitätsansprüche hat.“

Zumbühl steht seit 20 Jahren an der Spitze des Unternehmens. Er folgte im Januar 2000 direkt auf den Firmengründer Specht. Für Rössel verkörpert der 61-jährige Schweizer und studierte Diplom-Ingenieur, der mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit auf Reisen und beim Kunden verbringt, solides, verlässliches Schweizer Unternehmertum: „Interroll macht uns als Investor Spaß, weil das Management zuverlässig ist und unglaublich hohe Qualitätsansprüche hat.“

Interroll ist weltweit präsent mit 32 Gesellschaften und beschäftigt 2.300 Mitarbeiter. Die verschiedenen Fertigungsstandorte in Deutschland, Dänemark, USA, Frankreich, China und der Schweiz sind auf die unterschiedlichen Geschäftsbereiche und Anwendungsbereiche fokussiert. Beispielsweise ist am Hauptsitz, der 1989 ins Tessin in der Schweiz verlegt wurde, die Spritzgussproduktion der technischen Polymere beheimatet. Portfolio-Manager Rössel erhascht dort einen Blick auf die materiellen, aber zugleich auch immateriellen Vermögenswerte des Unternehmens: Moulds. Also die Spritzform-Unikate, die nach Interroll-Know-how und Vorlage angefertigt werden. Ein paar von ihnen kosten locker einen zweistelligen Millionenbetrag.

Interroll versteht sich als Mercedes unter den Fördertechnikspezialisten. Die Produkte und Lösungen liegen meist über dem durchschnittlichen Marktpreis. Was Kunden dafür bekommen, zählt Tiedemann auf: „Trotz Maßanfertigung eine schnelle und verlässliche Lieferzeit von wenigen Tagen. Und eine hohe Anlagenverfügbarkeit.“ Will heißen: Die Ausfallzeiten durch Material- und Anlagendefekte sind sehr gering.

„Die Logistikzentren sind so stark ausgelastet, dass die Infrastruktur unter Stress steht“, sagt Zumbühl. „Da darf kein Band ungeplant stillstehen. Angesichts dieser Ausfallgefahr sind die Kosten für unsere Fördertechnikprodukte eine überschaubare Ausgabe.“ In der Regel halte ein Trommelmotor 15 Jahre. Er kostet je nach Ausführung zwischen 1.000 und 2.000 Euro.

Direkt beliefert das Unternehmen rund 28.000 Kunden. Über diese Systemintegratoren oder Anlagenbauer gelangen Interroll-Förderlösungen an Endkunden wie Amazon, Bosch, Siemens, Walmart oder Coca-Cola. Vor allem von Express- und Postdiensten, in Flughäfen sowie von Branchen wie E-Commerce, Lebensmittel, Getränke, Mode und Auto wird die Fördertechnik eingesetzt. Alle betreiben Lager und müssen dort Waren von A nach B befördern. Intralogistik heißt das im Fachjargon.

Motorwicklungen – die Herzstücke der Trommelmotoren warten auf ihren Einbau.

Werksleiter Dr. Hauke Tiedemann zeigt Portfolio-Manager Gerald Rössel die fertigen Trommelmotoren.

Vor acht Jahren ist Vorstandschef Zumbühl dazu übergegangen, nicht mehr nur mit den Direktkunden zu sprechen, sondern er besucht auch regelmäßig die Kunden seiner Kunden wie Amazon oder FedEx. Er war gerade 14 Tage in Asien unterwegs. „Ich mache dort einen Strategic Audit. Ich frage den Kunden, sehe gute Beispiele, aber auch Verbesserungspotenzial. Das schützt uns vor Fehlinvestitionen. Zum Beispiel Vietnam: Wenn Interroll dort mittelfristig eine eigene Präsenz aufbauen will, muss ich ein Gefühl für das Land und den Standort entwickeln.“

Die Region Asien-Pazifik steuert 14 % zum Gesamtumsatz bei. Der Umsatzanteil der Region Americas liegt bei 27 %. Die Region EMEA – Europa, Naher Osten und Afrika – bleibt mit 55 % der wichtigste Absatzmarkt. „Expandieren wollen wir in allen drei Regionen“, sagt Zumbühl. „Doch sollen mittelfristig 50 % unseres Umsatzes von Märkten außerhalb Europas kommen.“

Insgesamt will Interroll 50 % stärker wachsen als der Markt für interne Logistik. „Der Markt für Material Handling steht noch am Anfang seiner Entwicklung“, sagt Zumbühl. Wettbewerber gebe es nur zwei oder drei, die wie Interroll global unterwegs sind. Allerdings dann auch nur für ein bis zwei Produkte. Auf die Frage, ob Interroll in diesem Jahr die überraschend guten Zahlen fortschreiben kann, antwortet der erfahrene CEO mit gewohnter Vorsicht: „Bei den Zahlen von 2018 spielten auch zwei Großaufträge eine überproportionale Rolle.“

Ein Facharbeiter im Schweizer Werk in Sant’Antonino steuert eine der Spritzgussmaschinen zur Herstellung von aus Polymeren bestehenden Komponenten für Förderrollen und Trommelmotoren.

Eine Förderplattform von Interroll – vielseitige Lösung für das Handling von Paletten und Paketen aller Art.

Zumbühl sieht Interrolls Alleinstellungsmerkmal in der Kombination aus globaler Präsenz und Qualität. „Nur Qualität können andere auch. Aber wir können unsere Kunden global begleiten und ihnen dort alle Produkte in neuester Technik und höchster Qualität liefern.“ Dabei schafft der Intralogistik-Spezialist den Spagat zwischen verschiedenen Entwicklungsstufen: „In Asien machen viele Kunden gerade einen direkten Sprung in das Zeitalter der Digitalisierung. In Märkten wie den USA werden neue Anlagen noch erweitert. Und in Europa geht es darum, bestehende Lager und Logistikzentren wieder auf den neuesten Stand zu bringen.“

Hermes Fulfilment, eine Tochter der Otto Group, ist ein gutes Beispiel für solch eine ­Modernisierung. Im Logistikzentrum in Haldensleben nahe Magdeburg steht eine Förderstrecke mit einer Länge von 30 Kilometern, die mit Interroll-Technik nachgerüstet wurde. Ziel war es, 25 % des Energieverbrauchs einzusparen und damit zu den Klimazielen des Onlinehändlers beizutragen. Die bestehenden Antriebe wurden durch Niedervolt-Varianten ersetzt, die bedarfsgerecht an- und ausgeschaltet werden können.

Vorstandsvorsitzender Paul Zumbühl im Gespräch mit Gerald Rössel.

Facts zu Interroll

Daten per 31.12. 2018

Nettoumsatz: 559,9 Mio. CHF (+22,9 %)
Nettoergebnis: +32,6 %
EBIT (in % des Nettoumsatzes): 12,4 %
Anzahl Mitarbeiter: 2.300
Marktkapitalisierung (per 28. 03. 2019):  1,7 Mrd. CHF/1,52 Mrd. EUR
Aktionärsstruktur: 81 % Streubesitz

Aktuell habe das Produkt- und Wartungsgeschäft einen Umsatzanteil von 8 bis 10 %, sagt der Vorstandschef. „In den nächsten fünf Jahren wollen wir diesen Anteil auf 20 % verdoppeln. Bei Services liegt das Margenpotenzial tendenziell höher als bei Produkten.“

„Nur Qualität können andere auch. Aber wir können unsere Kunden global begleiten und ihnen dort alle Produkte in neuester Technik und höchster Qualität liefern.“

Produktstrategisch sollen neue modulare Plattformsysteme wie die DC Platform, deren Komponenten die Kunden wie Lego-Bausteine selbst für ihre Bedürfnisse zusammenbauen können, das künftige Wachstum sichern. „Jede angetriebene Rolle ist einzeln ansteuerbar, die individuellen Bauteile der Plattform können miteinander kombiniert und vernetzt werden“, erklärt Zumbühl dem Portfolio-Manager ­Rössel. „Das ist ein enormer Wettbewerbs­vorteil und für den vorhersehbaren Zeitraum ein großer Vorsprung.“

Aber Industrie-4.0-Anwendungen und Flexibilisierung sind nicht nur ein Kundenthema. In den vergangenen Jahren hat Interroll die Fertigung so umgestellt, dass sie „atmet“, wie es Zumbühl beschreibt. „So können wir ganz schnell 30 % unserer Kosten herausnehmen.“ Das Werk in Baal hat hier eine Vorreiterrolle. Werksleiter Tiedemann führt die Flexibilisierungsquote von 60 % an. Das bedeutet, dass 60 % aller Mitarbeiter in der Produktion alle benötigten Tätigkeiten übernehmen können.

Gleichzeitig wird die Produktion schrittweise automatisiert. Die Getriebemontage per Roboter im Glaskasten ist nur ein Beispiel. Derzeit lernt ein Fach­arbeiter zwei neue Drehmaschinen an, deren Roboter ab Mai selbstständig die Röhrengehäuse für die Trommelmotoren fertigen sollen. Das Problem: Beim Drehen verknäulen sich die Metallspäne zu etwas, was an Rastalocken erinnert und was den Roboterarm in seiner Arbeit irritiert. Ein großes Rad – Revolver genannt – auf dem außen verschiedene Werkzeuge sitzen, soll das Problem lösen.

„Jetzt besteht die Kunst darin, das richtige Werkzeug in der richtigen Geschwindigkeit einzusetzen, damit die Späne robotertauglich zerstört werden“, erklärt Tiedemann. „Industrie 4.0. kommt also keineswegs per Stecker, sondern muss erst entwickelt werden, bevor es richtig losgehen kann.“

Qualität des Managements entscheidend

Wer Small & Mid Cap-Portfolios erfolgreich ­managen will, der darf sich bei der Auswahl der Unternehmen nicht allein auf die Papierform verlassen. Wichtiger als in jedem anderen An­lagesegment ist es hier, die Verantwortlichen eines Unternehmens persönlich kennenzulernen. Ein ganz wesentlicher Teil unseres Investmentprozesses sind daher die Treffen mit dem Management eines Unternehmens – wie mit Herrn Zumbühl von Interroll. Im Vordergrund dieser Gespräche steht natürlich die Geschäftsentwicklung – die im Idealfall positiv ist. Wenn sich Dinge mal nicht wie erwartet entwickeln, kommt es für die Aufrechterhaltung unseres Vertrauens darauf an, wie verlässlich sich das Management in der Vergangenheit gezeigt hat. Außerdem achten wir auch auf die Zwischentöne: Ist die Darstellung der Lage detailliert oder eher allgemein? Realistisch oder geschönt? In „Dur“ oder „Moll“?

Ein einzelnes Gespräch bringt hier allerdings keine Erkenntnisse, sondern erst die Abfolge mehrerer Gespräche über die Jahre sowie auch der Quervergleich mit Mitbewerbern, Kunden oder Lieferanten. Nur mit diesen persönlichen Eindrücken erhalten wir ein vollständiges Bild von einem Unternehmen – und damit eine verlässliche Grundlage für unsere Investmententscheidungen.

DR. GÖTZ ALBERT
MANAGING PARTNER UND CIO VON LUPUS ALPHA

Inhalt Ausgabe 005