„Wir wollten zeigen, dass es fundamental anders geht“

Die Post fährt bereits mit seinen elektrischen Lieferwagen, nun baut Günther Schuh ein bezahlbares E-Auto für die Stadt und mischt damit die Autoindustrie auf. Wie können der Professor für Produktionssystematik und sein Start-up e.GO Mobile AG die Finanzbranche in Sachen Innovation inspirieren? Ein Gespräch über Produktentwicklung, die Vorzüge der Rolle als „Underdog“ und den Mut, andere Wege zu gehen.

Protokolliert von Ina Lockhart

leitwolf: Herr Professor Schuh, Sie sind mehrfacher Unternehmensgründer und leidenschaftlicher Ingenieur. Gerade haben Sie die Produktion für Ihren „e.GO Life“ gestartet, der ab 12.000 Euro zu haben ist. Wieso gelingt Ihnen das und nicht den Daimlers oder Teslas dieser Welt?

PROF. DR. GÜNTHER SCHUH: Die etablierten Autohersteller denken in großen Serien und Reichweiten. Bei Elektroautos kommen sie damit allerdings nicht richtig weiter, weil die Batterien bei Fahrzeugen mit hoher Reichweite einfach zu teuer sind. Autokäufer akzeptieren aber eher eine eingeschränkte Reichweite als einen hohen Preis. Daher konzentrieren wir uns mit unseren Modellen auf die Stadt, wo Elektromobilität bezahlbar ist und wo sie angesichts der gesundheitsschädlichen Abgase auch am dringendsten benötigt wird. Den niedrigen Preis können wir realisieren, weil wir in der Produktentwicklung einige Dinge anders machen und auch ein anderes Fahrzeugkonzept verfolgen.

leitwolf: Was genau machen Sie anders?

PROF. DR. GÜNTHER SCHUH: Bei der Autoherstellung werden die Produktionstechniker oft erst am Ende gefragt. Wir haben den Spieß einfach umgedreht, die Konstrukteure weggelassen und selbst entwickelt. Beispielsweise haben wir erst einmal auf einen eigenen Motor – das Kapitalintensivste im Automobilbau – verzichtet und diesen stattdessen zugekauft. Den Rahmen (Space Frame) bauen wir mit Standardprofilen aus Aluminium, die Außenhaut aus Thermoplasten bekommen wir von Parat. Auf diese Weise konnten wir unsere Entwicklungskosten auf etwa 35 Millionen Euro senken. Ein eta­blierter Hersteller hätte dafür vermutlich bis zu 500 Millionen Euro investiert.

„In der Stadt darf ein Verbrennungsmotor morgen nicht mehr gestartet werden.“

Impressionen aus der Produktion des e.GO life

leitwolf: Herr Lochmüller, Sie sind vor mittlerweile 18 Jahren ebenfalls angetreten, um neue Wege im Asset Management zu gehen. Damals war der Fondsmarkt weitgehend unter den bankeneigenen Vermögensverwaltern aufgeteilt. Wie ist es Ihnen dennoch gelungen, sich erfolgreich am Markt zu etablieren?

RALF LOCHMÜLLER: Einen völlig unabhängigen Asset Manager mit partner­schaft­licher Unternehmensstruktur zu gründen, war im Jahr 2000 in der Tat ungewöhnlich. Gestartet sind wir mit Fonds­lösungen im Segment der europäischen Small & Mid Caps, für das wir schon damals ein sehr spezi­alisiertes Know-how hatten. Mit einer positiven Besessenheit für kleine und mittlere Unternehmen, einem strukturierten Invest­ment­ansatz und dem Mut, abseits der Bench­mark zu investieren, konnten wir hier für unsere Anleger von Beginn an einen nachhaltigen Mehrwert in Form einer kontinuier­lichen Out­performance erzielen. Heute bieten wir zudem Strategien im Bereich Alternative Solutions an – ebenfalls mit dem Anspruch, für unsere Kunden alternative Renditequellen zu erschließen.

leitwolf: In Ihren Branchen sind Sie damit jeweils so etwas wie der „David“, der sich gegen mehrere „Goliaths“ behauptet. Welche Vorteile hat diese Rolle als „Underdog“? Gibt es auch Nachteile?

RALF LOCHMÜLLER: Bei den Goliaths sind es vor allem die Vertriebskanäle, die den Erfolg der Produkte ausmachen. Spezialisten brauchen dagegen besondere Lösungen und Alphaquellen, um diese für die Kunden in Performance umzuwandeln. Der größte Vorteil ist aber sicherlich unsere Unabhängigkeit. Das bedeutet, dass wir kompromisslos Nein sagen können zu Konzepten, die uns nicht überzeugen. Der Nachteil: Underperformance ist nicht akzeptabel. Als mittelständisches Unternehmen sind wir zu besonderer Qualität und Innovationsfähigkeit verpflichtet. Stimmen diese über längere Strecken nicht, haben wir keine Daseinsberechtigung.

PROF. DR. GÜNTHER SCHUH: Die Goliaths in meiner Branche haben uns Produktionstechniker aus Aachen lange Zeit nicht ernst genommen. Dabei war es gar nicht unbedingt mein Ziel, den OEMs Konkurrenz zu machen. Ich wollte ein Auto in Reinform entwickeln, um zu zeigen, dass es fundamental anders geht. Das hat mich schon beim „StreetScooter“ angetrieben, von dem bis heute 7.500 Stück für die Deutsche Post ausgeliefert wurden – Tendenz steigend. Mit unserem Viersitzer e.GO Life gehen wir nun einen Schritt weiter. Derzeit haben wir 2.700 Bestellungen vor­liegen, ab November 2018 werden die ersten Modelle ausgeliefert. Mittelfristig wollen wir bis zu 100.000 Elektroautos pro Jahr in drei Baureihen bauen. Die Herausforderung wird dabei sein, tragfähige Joint Ventures und Partnerschaften für den Vertrieb, vor allem auch im Ausland, zu vereinbaren.

leitwolf: Herr Lochmüller, in Ihrer Branche ist es ebenfalls oft so, dass die Initiative für ein neues Produkt aus den Bereichen Marketing und Vertrieb kommt und dass das Portfolio-Management, die „Produktion“, erst zur Umsetzung hinzugezogen wird. Wie ist das bei Lupus alpha?

RALF LOCHMÜLLER: In der Finanzbranche wird mit dem Begriff „Innovation“ teilweise sehr inflationär umgegangen. Ein neues Produkt oder eine neue Verpackung ist aber noch längst keine Innovation. Es wird erst dann zur Innovation, wenn es beim Kunden wirklich einen nachhaltigen Nutzen stiftet. Es muss dazu den erhofften, risikoadjustierten Performance-Beitrag innerhalb eines Portfolios liefern. Um das zu erreichen, steht bei uns eher die „Ingenieursleistung“ im Vordergrund. Wir binden die Portfolio-Manager daher sehr frühzeitig ein. Bei der Einführung neuer Produkte ist es enorm wichtig, dass Portfolio-Management, Produktmanagement und Vertrieb eng zusammenarbeiten. Kleine Teams also, wenig Bürokratie. So sind wir beweglich.

leitwolf: Herr Professor Schuh, e.GO ist mit 200 Mitarbeitern ebenfalls noch klein und wendig. Von welchen Strukturen profitiert Ihr Unternehmen bei der Produktentwicklung?

PROF. DR. GÜNTHER SCHUH: Wir sitzen hier am RWTH Aachen Campus wie die Spinne im Netz. Über 300 Unternehmen engagieren sich auf dem Campus in 26 Centern, 12 Center stehen dabei unter meiner Verantwortung. Wir haben damit Zugriff auf rund 2.500 Mitarbeiter. In diesem einzigartigen Ökosystem forschen und entwickeln wir an Themen, die für die Mobilität der Zukunft relevant sind. Auf diese Weise können wir einen kontinuierlichen Forschungsinput sicherstellen, der sich natürlich auch in unseren Elektroautos wiederfindet. Die enge Verbindung zu den Fakultäten und Forschungseinrichtungen ermöglicht es uns übrigens auch, junge Talente nach ihrem Abschluss für uns zu gewinnen. Im Augenblick stellen wir circa 15 neue Leute pro Monat ein.

leitwolf: Herr Lochmüller, welche Rolle spielt die Wissenschaft für neue Produkt­entwicklungen im Asset Management?

RALF LOCHMÜLLER: Der Austausch mit der Wissenschaft ist in jeder Branche essenziell. So werden immer wieder neue Impulse generiert. Die letzten BAI-Wissenschaftspreis-Verleihungen haben beispielsweise bei Lupus alpha stattgefunden. Über den Austausch mit Universitäten sowie auch über Masterarbeiten und Studien findet eine sinnvolle Transformation von der Wissenschaft in die Anlagepraxis statt. Aber man muss auch die Grenzen erkennen. An den Kapitalmärkten gibt es keine Garantien oder Naturgesetze. Insofern ist es entscheidend, nicht blind an mathematische oder andere theo­retische Modelle zu glauben. Wohin das führen kann, hat die letzte Finanzkrise oder auch die LTCM-Krise gezeigt, an der immerhin zwei Nobelpreisträger beteiligt waren. Den gesunden Menschenverstand darf man nicht ausschalten.

Prof. Dr. Günther Schuh und Ralf Lochmüller im Werk von e.GO Mobile in Aachen.

leitwolf: Noch einmal zur Produktent­wicklung. In Ihrer Branche gibt es ja häufig den Vorwurf, dass neue Fonds einfach an den Markt gebracht werden, ohne vorher bewiesen zu haben, dass die zugrunde liegenden Strategien funktionieren. Wie testen Sie neue Anlagestrategien?

RALF LOCHMÜLLER: Das ist eine ganz spannende Frage. In der klassischen Industrie gilt: Wer innovativ sein will, muss Risiken eingehen und auch bereit sein zu scheitern. Scheitern als Chance – das ist oft das Mantra, das auch im Silicon Valley immer wieder vorgetragen wird. Bei neuen Anlagestrategien ist das allerdings ein Problem, denn das Scheitern zahlt in der Regel der Kunde: durch eine schlechte Performance oder durch Kapitalverlust. Daher ist es wichtig, neue Anlagestrategien zu testen – und zwar „live“ und nicht nur im Backtest. Wir tun dies gemeinsam mit interessierten institutionellen Investoren und nehmen uns die Zeit, die Performance-Entwicklung neuer Produkte zu beobachten, bevor wir sie in den breiten Vertrieb geben.

leitwolf: Herr Professor Schuh, wie testen Sie neue Produkte? Wie lange hat es beispielsweise von der Idee für Ihr Life-Modell bis zum fertigen Prototypen gedauert?

PROF. DR. GÜNTHER SCHUH: Wir ändern und testen natürlich auch ständig an unseren Prototypen, bevor diese in Serie gehen. Bei unserem e.GO Life beispielsweise gab es 42 Designänderungen, bis wir zufrieden waren und ihn für die Produktion freigegeben haben. Ein Auto muss schön sein, sonst kauft es keiner. Aber auch an der Technik haben wir hochiterativ gefeilt. Die Idee für ein kleines Elektroauto hatte ich schon beim StreetScooter. Damals hatte ich aber eher ein Microcar im Kopf, was es wegen des Sicherheitsaspekts dann nicht geworden ist. Ein Auto muss nämlich nicht nur schön, sondern auch sicher sein. Tatsächlich hat der e.GO Life vorn eine ebenso große Knautschzone wie eine S-Klasse! Ich war selbst verblüfft, dass meine Entwickler das bei einem nur 3,35 Meter langen Fahrzeug hinbekommen haben. Alles in allem hat die Entwicklung des Life rund drei Jahre gedauert.

Die Revolution aus Aachen

Elektromobilität als Passion: Nachdem Günther Schuh seinen „StreetScooter“ an die Deutsche Post verkauft hatte, wollte der heute 59-Jährige eigentlich etwas kürzertreten. Der Vorsatz hielt nur wenige Wochen, da machte sich der umtriebige Professor für Produktionssystematik mit einer weiteren Idee selbstständig und gründete im März 2015 die e.GO Mobile AG. Zwei Jahre später präsentierte er auf der CEBIT sein erstes Serienmodell „e.GO Life“, das ab Herbst 2018 ausgeliefert wird. Sein kleines Stadtauto soll schöner, nützlicher und besser sein als alles, was die etablierte Konkurrenz zu bieten hat – und vor allem günstiger. Den revolutionär niedrigen Preis von 15.900 Euro – abzüglich 4.000 Euro Umweltprämie – erzielt er durch eine radikal andere, eigene Produktentwicklung, welche durch das Forschungsumfeld des RWTH Aachen Campus, an dem Schuh sich über viele Jahre ein einzigartiges Ökosystem für Produktionstechnik aufgebaut hat, unterstützt wird. Über die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten eines Start-ups in der Automobilbranche und eines unabhängigen Spezialisten im Asset Management haben Prof. Dr. Günther Schuh und Ralf Lochmüller diskutiert.

leitwolf: Was sind Ihre nächsten Projekte? Wann wird der Verbrennungsmotor von der Brennstoffzelle abgelöst?

PROF. DR. GÜNTHER SCHUH: Neben dem e.GO Life, der ab November 2018 ausgeliefert wird, arbeiten wir gerade an dem „e.GO Mover“, einem ÖPNV-fähigen Kleinbus, der 2019 auf die Straßen kommt. Hierfür haben wir ein Joint Venture mit ZF geschlossen. Außerdem planen wir ein etwas größeres Kompaktauto, den „e.GO Booster“, der auch als „Familientaxi“ für Familien mit vielen Kindern oder Klein­kindern mit Kinderwagen tauglich sein wird. In zehn Jahren wollen wir eine Flotte von fünf bis sechs Fahrzeugtypen etabliert haben. Dabei setzen wir auch weiterhin auf Kooperationen – und auf kurze Reichweiten. Den Verbrennungsmotor wird es in 30 Jahren sicher noch geben, aber in der Stadt darf er nicht mehr gestartet werden. Der hybridelektrische Motor treibt ihn dann an. Abgelöst wird er erst, wenn man eine ökologisch und ökonomisch vertretbare Ersatzlösung gefunden hat. Am Ende läuft es wohl auf die Brennstoffzelle als Range Extender hinaus. Und übermorgen ist diese auch bezahlbar.

leitwolf: Herr Professor Schuh, Herr Lochmüller, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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