Sinn oder Unsinn: Quantitative Methoden im Portfolio-Management

Prof. Dr. Martin Hellmich, Professor für Financial Risk Management an der Frankfurt School of Finance & Management, diskutiert mit Alexander Raviol von Lupus alpha über die Grenzen der Datengläubigkeit im Portfolio-Management.

Protokolliert von Anna-Maria Borse. Fotos von Markus Kirchgessner

leitwolf: Quantitative Methoden werden im Portfolio-Management immer breiter eingesetzt und suggerieren Investoren Verlässlichkeit. Zu Recht?

Alexander Raviol: Im Asset Management finden quantitative Methoden Anwendung bei der Bewertung von Wertpapieren, im Risikomanagement und für die Renditeprognose. Bei der Bewertung macht das offensichtlich viel Sinn. Doch dann lässt mein Vertrauen in die Mathematik nach. Im Risikomanagement läuft man Gefahr, das eigentliche Risiko zu übersehen. Das Schwierigste scheint mir die Renditeprognose zu sein. Ich habe viele Dinge gesehen, die auf dem Papier oder auf dem Rechner sehr gut funktionieren, in der Realität aber oft nicht. Mein Fazit: Man sollte sich mehr auf das stützen, was ökonomisch plausibel und begründbar ist.

„Eine Blasenbildung kann mit Population Games erklärt, aber nicht prognostiziert werden.“

Prof. Dr. Martin Hellmich: Mit dem Einsatz von Mathematik bei der Bewertung von Finanzinstrumenten beschäftigen wir uns auch hier. Doch da steckt der Teufel oft im Detail. Renditeprognosen abzugeben, ist eine fast unmögliche Aufgabe, da teile ich Ihre Skepsis. Möglich ist dies allenfalls noch bezüglich relativer Bewegungen. Was das Risikomanagement angeht, ist wohl deutlich geworden, dass man von den klassischen Methoden weg muss. Es macht keinen Sinn, Finanzinstitutionen auf Einzelbasis zu untersuchen. Das Finanzsystem ist vielmehr ein komplexes Netzwerk mit Ansteckungseffekten. Da kommt als ein Aspekt die Population Game-Theorie zum Tragen, also die Spieltheorie mit sehr vielen Spielern. Die Subprime-Krise ist hierfür ein sehr gutes Beispiel: Es gab ein Ungleichgewicht im Netzwerk. In den USA, wo die Risikoauslagerung üblicher ist als hierzulande, wurden die Kredite verbrieft. In Deutschland fehlte vielen Finanzinstituten das Geschäftsmodell. So standen Verkäufer in einem sehr effizienten Markt Käufern gegenüber, die die Risiken nicht wirklich verstanden.

Alexander Raviol, Partner und Head of Portfolio Management Alternative Solutions bei Lupus alpha.

leitwolf: Die rein quantitative Betrachtung reicht gerade im Risikomanagement also nicht aus?

Alexander Raviol: Genau, nur auf quantitative Daten zu schauen, halte ich für falsch. In den Daten kann man die größten Risiken oft nicht erkennen. Auch der ehemalige Fed-Chef Alan Greenspan hat während der Finanzkrise geäußert, dass es so etwas noch nie gegeben habe. Es muss eine qualitative Komponente dazukommen.

Prof. Dr. Martin Hellmich: Man ist im Risikomanagement dabei, die Methoden zu ändern, das dauert aber. Allerdings: Was die Finanzkrise angeht, hätte man anhand der Daten durchaus Risikofaktoren ausmachen können. So hat die HSBC schon 2006 Verluste von 11 Milliarden US-Dollar in Subprime-Krediten gemeldet. Der Markt hat das nicht zur Kenntnis genommen, es wurde weiter investiert. Heute ist man viel weiter. Die Datenlage, die IT-Leistung und die quantitativen Methoden sind besser als vor zehn Jahren. So könnten die Aufsichtsbehörden bei entsprechender Verwertung der von ihnen erhobenen Daten recht gut erkennen, ob Anleger nervös werden und sich von illiquiden Asset-Klassen trennen. Die Datenfülle erlaubt es, relative Preisbewegungen zu erkennen. Künftig könnten uns zudem auch beim Risikomanagement künstliche Intelligenz und Big Data einen großen Schritt weiterbringen.

leitwolf: Dennoch bleibt das Problem, dass Daten nur die Vergangenheit abbilden können.

Alexander Raviol: Aus diesem Grund bin ich für die Anwendung im Risikomanagement und bei Prognosen skeptisch. In der Physik kann ich kontrollierte Experimente machen, mich auf kausale Zusammenhänge konzentrieren und das reproduzieren. Das geht hier nicht. Menschen sind am Werk, die sich möglicherweise in Zukunft anders verhalten. Meines Erachtens sind am Ende doch die Bewertung oder Plausibilisierung der Daten durch weitere Überlegungen wichtig. Beim Thema Renditeprognosen denke ich auch an Faktorstrategien, die derzeit sehr in Mode sind. Es gibt eine Studie von Professor Campbell R. Harvey von der Duke University: Der identifizierte über 200 Faktoren, die quantitativ „nachgewiesen“ wurden. Harvey stellte aber fest, dass die meisten der publizierten Research-Ergebnisse zu diesen Faktoren nicht belastbar sind.

Prof. Dr. Martin Hellmich: Die meisten quantitativen Modelle setzen auf das Ausnutzen von Anomalien und relativen Bewegungen. Interessanterweise hat das in den vergangenen Jahren ganz gut funktioniert. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die Ineffizienzen im Markt gestiegen sind – etwa durch stärkere Regulierung und die Zunahme passiver Strategien. 200 Faktoren, die unabhängig voneinander sind, gibt es aber natürlich nicht. Man kann wohl von vier Faktoren sprechen, die nicht korrelieren, der Rest ist redundant. In der Praxis bislang bewährt haben sich Momentum-, Low Volatility-, Low Beta- und Size-Strategien.

Martin Hellmich hat seit September 2012 die Karl Friedrich Hagenmüller Professur für Financial Risk Management an der Frankfurt School of Finance & Management inne. Bis dahin war er Leiter Fixed Income für die MainFirst Bank, davor lagen Stationen bei der DekaBank, bei Cantor Fitzgerald, Barclays Capital, LBBW, cominvest Asset Management und Allianz. Hellmich ist promovierter Mathematiker und war auch schon vor 2012 als Dozent an der Frankfurt School tätig.

leitwolf: Aber was kann erklären, dass hinter Faktoren tatsächlich eine Kausalität steht?

Alexander Raviol: Ich bin der Ansicht, dass ökonomische Überlegungen dazukommen müssen. Wir haben zum Spaß einmal DAX-Titel nach geraden und ungeraden Wertpapierkennnummern aufgeteilt und festgestellt, dass sich Aktien mit geraden ISIN über einen langen Zeitraum besser entwickeln als die mit ungeraden. Das könnte man dann einfach ISIN-Faktor nennen. Ich will damit sagen: In Daten kann man viel finden, mit Kausalität hat das aber nichts zu tun. Aus meiner Sicht handelt es sich bei den begründbaren Faktoren eher um Risikoprämien. Der Investor erhält eine Prämie dafür, dass er ein bestimmtes Risiko übernimmt, etwa beim Low Volatility-Faktor das „unangenehme“ konvexe Auszahlungsprofil. Ich würde das durchaus abgrenzen von reinen Anomalien.

Prof. Dr. Martin Hellmich: Die Risikoübernahme ist sicher eine Erklärung. Eine andere ist, dass ein Effekt wie etwa Momentum Ineffizienzen reflektiert. Mir scheinen spieltheoretische Modelle bzw. Population Games für die Erklärung von Faktoren am plausibelsten: Es gibt Agenten mit inhomogenen Erwartungen, die unterschiedliche Strategien zu unterschiedlichen Zeitpunkten am Markt anwenden. Es gibt Front Runner und solche, die nachziehen. Damit kann man den Momentum-Effekt herauslesen, auch wenn es vielleicht nicht die einzige Erklärungsmöglichkeit ist. Auch eine Blasenbildung lässt sich auf diese Weise gut erklären – allerdings nur erklären, nicht prognostizieren.

leitwolf: Doch was passiert, wenn der Markt sich ändert und alle auf dieselbe Strategie setzen, etwa auf Low Volatility?

Alexander Raviol: Wenn in vielen Portfolios die gleichen Aktien zu finden sind, kann das zu einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale führen, wie damals beim „Quant Crash“. Auch heute sehen Marktbeobachter im Bereich der Low Volatility-Strategien bereits Anzeichen von Crowding, das durch die großen Mittelzuflüsse begünstigt wird.

Prof. Dr. Martin Hellmich: Wenn Märkte im Trend sind, dominiert eine Strategie, der Markt befindet sich im temporären Nash-Gleichgewicht, wie man in der Spieltheorie sagt. Die Blase platzt, wenn sich viele Marktteilnehmer von einer bis dato dominanten Strategie abwenden. Allerdings können wir nicht genau erkennen, wann es zu diesem Trendwechsel kommt. Wann fangen die ersten an, ihre Meinung zu ändern? Wann ziehen andere nach? Und wann platzt die Blase? Diese komplexe Situation kurz vor dem Platzen einer Blase zu beschreiben, ist mathematisch schwierig.

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