ACT ALPHA
Ingenieurskompetenz aus Westflandern
Barco ist einer dieser heimlichen Weltmarktführer. Das Unternehmen aus Belgien verdient sein Geld mit hochauflösender Bildtechnologie: im Kino, im Krankenhaus und in Konferenzräumen. Der neue Vorstandschef Jan De Witte sorgt mit seinen Ideen zur Unternehmensstrategie und Produktionseffizienz für Kursfantasie. Fondsmanager Markus Herrmann hakt nach.
Von Ina Lockhart. Fotos von Markus Kirchgessner
250Kilo schwer, Ausmaße wie ein kleiner, quer hingelegter Einbaukühlschrank, eine viertel Million Euro teuer und fertig in einer Produktionszeit von drei Tagen. Das ist der Steckbrief des Flaggschiff-Laserprojektors von Barco, dem Marktführer bei Kinoprojektoren und Projektionstechniken. Die Wurzeln des Unternehmens gehen zurück bis in die 1920er-Jahre, als der Vorläufer „Belgian American Radio Corporation“ (kurz: Barco) noch Radios herstellte.
Drei Tage Produktionszeit? Eine Nachfrage, die Markus Herrmann, Portfolio-Manager bei Lupus alpha, während seiner Tour durch die Fertigungsstätte von Barco im belgischen Kuurne stellt. „Ja, drei Tage“, bestätigt Nico Moreau, der seit 1983 für Barco arbeitet und für die Qualitätssicherung verantwortlich ist. „Einen Tag brauchen wir für den Zusammenbau der Teile, einen weiteren für die Inbetriebnahme – also für den Stromcheck, das aufwendige Software-Update und den Betriebstest – und den dritten für die Kalibrierung der Projektoren in unseren Dunkelkammern.“ Je nach Auftragslage verlassen 30 bis 60 Projektoren pro Tag die Produktion.
Normalerweise zeigt das seit 1990 börsennotierte Unternehmen seine Produkte in den eigens dafür eingerichteten Showrooms – und nicht in den Fertigungshallen. Für Herrmann, der bei Lupus alpha die Unternehmen in den Beneluxländern und Frankreich betreut, machen Carl Vanden Bussche, Leiter Investor Relations, und Moreau heute eine Ausnahme. Der 29-Jährige, der seit 2011 für Lupus alpha arbeitet und unter anderem den erfolgreichen Lupus alpha Dividend Champions verantwortet, ist beeindruckt von der Komplexität der Projektoren. Das Laser-Modell und die Laser-Phosphor-Variante sind die Flaggschiffe, die lampenbasierten Digitalprojektoren sind kostengünstigere Varianten. Die Projektoren, die in der Sparte „Entertainment“ zusammengefasst sind, machen rund die Hälfte des Konzernumsatzes von einer Milliarde Euro aus.
Qualitätsmanager Nico Moreau (rechts) erläutert Fondsmanager Markus Herrmann (Mitte) und IR-Chef Carl Vanden Bussche den Produktionsprozess des Flaggschiff-Laserprojektors von Barco.
Doch die drei Tage gehen Herrmann nicht aus dem Kopf. Da müssten doch noch Effizienzgewinne möglich sein, denkt der margenbewusste Portfolio-Manager und fühlt sich bestätigt, als Qualitätsmanager Moreau erzählt, dass der Produktionsprozess fortlaufend optimiert werde: „Derzeit prüfen wir, wie wir den Betriebsstresstest, bei dem der Projektor nonstop für vier Stunden läuft, auf 40 Minuten reduzieren können.“ Herrmanns Nachfrage kommt prompt: „Und das soll möglich sein, ohne bei der Qualität Kompromisse zu machen?“ Moreau lacht verschmitzt und sagt: „Tja, das wollen wir eben herausfinden.“
Genau das meint Jan De Witte, ehemaliger GE-Manager und neuer Vorstandsvorsitzender von Barco, wenn er von einer kosteneffizienteren Produktion spricht. Oder von „Value Engineering“ – also von einer Produktentwicklung, bei der sich die Ingenieure bereits beim Design überlegen, wie sie gewünschte Funktionalitäten auch mit günstigeren Komponenten erzielen können. Kernbotschaften, die Herrmann aus seinem Gespräch mit dem 52-jährigen, gebürtigen Belgier mitnimmt. Bei seiner ersten Begegnung mit dem neuen Mann an der Spitze wird Herrmann schnell klar, dass hier ein Manager vor ihm sitzt, der die Vermarktung optimieren und die Umsetzung an jedem Punkt der Wertschöpfungskette perfektionieren will.
Markus Herrmann testet das interaktive Smartboard von Barco.
Herrmann trifft De Witte vor seiner Produktionstour in der neuen Zentrale, die das Unternehmen im Februar 2016 bezogen hat und die südöstlich der belgischen Kleinstadt Kortrijk in Westflandern liegt, etwa 30 Kilometer entfernt vom französischen Lille. Bevor der Portfolio-Manager mit seinen Fragen loslegt, möchte der Vorstandschef gern besser verstehen, was für ein Investor ihm da gegenübersitzt. Seit 15 Jahren hat Lupus alpha Barco schon im Blick. Das erste Investment erfolgt im Jahr 2007, ein Jahr später der Ausstieg. 2012 der Wiedereinstieg, um 2013 nach einem Kursgewinn von 50 % erneut zu verkaufen. Seit Januar 2015 ist das Geld institutioneller Kunden wieder in Barco investiert. Der Aktienkurs dümpelt seitdem vor sich hin – bis De Wittes Nominierung für neue Fantasie sorgt.
Die beiden Männer sehen etwas verloren aus, wie sie an einem der Tische in der luftigen, lichtdurchfluteten Cafeteria im Atrium sitzen. Noch zwei Stunden zuvor, zur Mittagszeit, war hier kein Platz mehr frei. IR-Chef Vanden Bussche reicht später nach, dass die rund 900 Mitarbeiter der Zentrale mittlerweile in Schichten essen gehen. Noch weitere 400 werden bis spätestens Anfang 2018 dazukommen, wenn die Produktionshallen fertiggestellt sind.
Die neue Zentrale, die sich das Unternehmen einiges hat kosten lassen, soll alles in einem einzigen Gebäudekomplex zusammenführen: Forschung und Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Marketing sowie Verwaltung und Vorstand. Die Idee dahinter: Ein dynamischer Austausch unter den Mitarbeitern aus den verschiedenen Abteilungen soll entstehen. Das runde, mehrstöckige Gebäude aus weißen Streben und Glas, das trotz seiner Größe grazil anmutet, steht für das neue Barco.
Das alte Barco liegt nordöstlich rund elf Kilometer entfernt im Industriegebiet von Kuurne. Dort, wo Qualitätsmanager Moreau noch arbeitet. Nach dem Besuch der modernen Showrooms in der Zentrale kann sich Herrmann nicht mehr vorstellen, wie das Unternehmen seine Produkte vorher erlebbar gemacht hat. Denn was früher im relativ kleinen Eingangsbereich der alten Zentrale stattfand, wird Kunden und Investoren jetzt in einem Kinosaal, einem Kontrollraum und einer kleinen Krankenhauseinheit gezeigt. Beeindruckend realitätsnah.
So wie die Wand voller Bildschirme im Showroom der Sparte „Enterprise“, die 29 % zum Gesamtumsatz beisteuert. Auf die etwa 15 Quadratmeter große Fläche überträgt IR-Chef Vanden Bussche per Knopfdruck verschiedene Szenarien von Kontrollräumen: Verkehrsleitzentralen, Überwachung militärischer Operationen oder Steuerung von Industrieanlagen. An der anderen Wand hängt die neueste Entwicklung von Barco: das „Interactive Display“.
Vorstandsvorsitzender Jan De Witte und Markus Herrmann im Gespräch.
Auf dem extrem sensiblen Smartboard ersetzt die eigene Hand die Maus. Ein spezieller Stift hilft beim Schreiben. Vanden Bussche schiebt einzelne Fenster hin und her, öffnet an anderer Stelle ein neues, kritzelt ein paar Anmerkungen auf die Tafel, macht Screenshots und löst damit ein beeindruckendes Schauspiel an Farben und Formen aus. „Die Beta-Version läuft derzeit an vier Standorten“, sagt der IR-Leiter. Barco sieht vor allem Universitäten als mögliche Abnehmer für das 300.000 Euro teure Interactive Display.
Oben: In der Dunkelkammer werden die Laserprojektoren kalibriert.
Rechts oben: Mittels „ClickShare“ lassen sich Inhalte von Smartphones oder Tablets auf den zentralen Screen in Konferenzräumen bringen.
Rechts unten: Fertige Projektoren warten auf ihren Testlauf.
Theoretisch könnte das Display auch in großen Konferenzräumen zum Einsatz kommen. Dort verdient Barco bereits mit „ClickShare“ 15 % seines Spartenumsatzes. ClickShare ist seit drei Jahren im Markt und mag alle Betriebssysteme. 200.000 Tagungsräume weltweit sind mittlerweile mit dieser Technologie ausgestattet. Sie ermöglicht es den Konferenzteilnehmern, den aktuellen Bildschirminhalt ihres Endgeräts – egal ob Laptop, Tablet, Smartphone oder Fernseher – dank eines speziellen USB-Geräts per Knopfdruck auf den zentralen Screen des Raumes zu übertragen.
Genauso wie die moderne Zentrale mit ihren Showrooms repräsentiert De Witte das neue Barco. Im Juni 2016 kam er als künftiger CEO ins Führungsteam, um Eric Van Zele abzulösen, der seit 2009 das Unternehmen geführt hat und noch bis 2018 im Board sitzt. Offiziell fand die Amtsübergabe zum 1. Oktober 2016 statt, Entscheidungen traf De Witte aber schon vorher.
„In den Sommermonaten hat es ein paar Veränderungen in der Führungsriege gegeben“, fasst er für Portfolio-Manager Herrmann zusammen und meint damit, dass es einen neuen, von ihm ausgewählten Finanzvorstand und eine Hierarchieebene weniger – und damit eine direkte Berichtslinie – zwischen CEO und IT, Rechts- sowie Controlling-Abteilung gibt. Die Unternehmensführung versteht De Witte als Teamarbeit zwischen CEO, CFO und Personalchef. Erstmals in der Geschichte von Barco füllen Frauen Top-Positionen aus. Im aktuellen Führungstrio sogar gleich zwei. Ein weiteres Novum ist, dass mit dem neuen Leiter der „Enterprise“-Sparte der erste Bereichsverantwortliche nicht in der belgischen Zentrale, sondern an der amerikanischen Westküste im Silicon Valley sitzt.
Operational Excellence und globale Präsenz – auf diese beiden Wachstumstreiber setzt Barco.
De Witte kennt Barco aus seiner Zeit bei General Electric, wo er zuletzt die Healthcare-IT-Sparte mit einem Umsatz von knapp 2 Milliarden Dollar verantwortet hat. Er bezeichnet Barco als „Gold Standard in Healthcare“. Mit seinen hochauflösenden Bildschirmen, auf denen Ärzte in Krankenhäusern die Röntgen- oder MRT-Aufnahmen der Patienten anschauen und auswerten. Oder die bei endoskopischen Eingriffen den Chirurgen den Blick ins Körperinnere ihrer Patienten eröffnen und ihnen beim Führen des Operationswerkzeuges helfen. Eine Transfer- und Koordinationsleistung, die man auch mit den besten Monitoren nicht aus dem Stegreif erbringen kann, wie Herrmann im Healthcare-Showroom im Selbstversuch feststellen muss.
Dass De Witte als gebürtiger Belgier jetzt ein belgisches Unternehmen führt, sei ein Zufall. Er ist froh, dass Barco „kein typisch belgisches Unternehmen ist“. Nicht nur von der modernen Kultur sei er überrascht gewesen, sondern auch von der globalen Präsenz: „Obwohl das Unternehmen eher klein ist, ist es weltweit so gut vertreten wie meine alten Arbeitgeber. Das ist eine gute Ausgangsbasis für stetiges Wachstum.“
Das sieht er vor allem in China und Indien. „Wir möchten dort stärker vor Ort sein. Wir lernen gerade, wie wir in diesen Märkten Erfolg haben können“, sagt De Witte selbstkritisch. „In China sind wir im Kinomarkt bereits erfolgreich, doch jetzt gilt es, die Chancen für unsere anderen Sparten – Enterprise und Healthcare – zu nutzen.“ Neue Länderverantwortliche, in beiden Fällen Einheimische, die für multinationale Konzerne gearbeitet haben, sollen dabei helfen, das Wachstum voranzutreiben.
Doch auch aus Kortrijk erhofft sich De Witte Unterstützung: von seinem Chairman Charles Beauduin. Der belgische Textilfabrikant ist über seine Firma Michel Van de Wiele mit rund 18 % an Barco beteiligt und kennt China sehr gut, weil er in dem Land seit etlichen Jahren produzieren lässt.
Für den neuen Unternehmenschef ist klar, dass das Wachstum nicht nur in fernen Märkten liegt. Viel ungenutztes Potenzial sieht er im Kundendienst: „Servicing ist noch nicht Teil der DNA von Barco.“ Das Unternehmen verkaufe Hightech-Produkte, die eigentlich nie ausfallen dürfen, weil die Folgen fatal oder extrem geschäftsschädigend wären. „Mission-critical“ nennt De Witte das.
Daraus will er Kapital schlagen. Servicedienstleistungen über Remote-Systeme schweben ihm vor und spezialisierte Kundendienstmitarbeiter, die Versicherungen gegen Betriebsausfälle von Produkten von Barco verkaufen. „So werden Versicherungsprämien zu einer stetigen Einnahmequelle. Das ist zwar kein Geschäft, das man über Nacht aufbaut. Doch läuft es einmal, bietet es einem Unternehmen sehr verlässliche, wenig konjunkturabhängige Umsätze.“
Eine Wette auf die Produktqualität von Barco, die aufgehen könnte, bedenkt man, dass laut Produktionsmanager Moreau 99 % der hergestellten Projektoren die sorgfältige Qualitätsprüfung im ersten Anlauf bestehen.
Umsatz: 1,102 Mrd. Euro
Nettoergebnis: 25,7 Mio. Euro
EBIT-Marge: 3,3 %
Anzahl Mitarbeiter: 3.524
Return on Capital Employed (ROCE): 4,0 %
Marktkapitalisierung: 1,092 Mrd. Euro
Performance: +33,8 % im Jahr 2016
Dividende/Aktie: 1,90 Euro
Aktionärsstruktur: 18 % Michel Van de Wiele Group, Rest Streubesitz
Analyst und Fondsmanager in einem
Wer bei Small & Mid Caps erfolgreich sein will, darf nicht nur nach Papierform entscheiden. Persönliche Kontakte und Unternehmensbesuche sind essenziell, um die Grundlagen eines fundamentalen Stockpicking-Prozesses zu vervollständigen. Wann und wie oft ein Unternehmen besucht wird, entscheidet bei uns der verantwortliche Analyst. In unserem neunköpfigen Small & Mid Cap-Team ist jedes Teammitglied Analyst für eine bestimmte Region und damit Ideengeber für die Verantwortlichen eines Portfolios. Jedes Teammitglied ist aber auch gleichzeitig selbst für ein Portfolio verantwortlich und somit Empfänger der Ideen seiner Kollegen. Dadurch wird der sonst oft kontraproduktive Gegensatz zwischen Analyse und Portfolio-Management aufgehoben: Nicht der hierarchisch höchste Mitarbeiter hat die Interpretationshoheit über Unternehmensdaten, sondern derjenige, der sich fachlich am besten auskennt. Durch diese Aufgabenverteilung entsteht eine „Balance of Power“, die ein hohes Verantwortungsgefühl bei jedem Einzelnen erzeugt. Gleichzeitig werden hohe Freiheitsgrade gewahrt. Diese Struktur trägt maßgeblich zum Erfolg von Lupus alpha im Small & Mid Cap-Management bei.
DR. GÖTZ ALBERT, PARTNER UND HEAD OF SMALL & MID CAPS
Fotos/Illustrationen: Markus Kirchgessner, Frank Blümler