„Familienunternehmen haben einen langen Atem“

„Thermomania“, das „iPhone aus Wuppertal“ oder „Disruption auf Bergisch“ haben Medien begeistert getitelt, als sie jüngst über den Thermomix von Vorwerk berichtet haben. Wie konnte dieser Hype entstehen? Was kann die Finanzbranche von dem Mittelständler aus Wuppertal in Sachen Innovation lernen? Rainer Christian Genes, persönlich haftender Gesellschafter der Vorwerk Gruppe, und Ralf Lochmüller im Gespräch über Digitalisierung, die Vorzüge des Direktvertriebs und die Kunst, seine Kunden zu Fans zu machen.

Protokolliert von Ina Lockhart. Fotos von Markus Kirchgessner

leitwolf: Herr Genes, Ihren Thermomix gibt es seit 40 Jahren. Ebenso wie Ihre Kobold Staubsauger stand Ihre Küchenmaschine schon immer für Qualität, aber seit Kurzem gilt sie als Kultobjekt. Wodurch kam der Durchbruch?

RAINER CHRISTIAN GENES: Es ist richtig, mit unseren Thermomix Geräten waren wir zunächst in Frankreich in den 70ern und seit den 80er-Jahren auch in deutschen Küchen vertreten. Damals haben wir die Geräte noch ausschließlich in unserem Werk in Frankreich gefertigt. Seitdem haben wir die Maschine natürlich kontinuierlich weiterentwickelt. An dem neuen Modell des Thermomix, dem TM5, haben wir beispielsweise sieben Jahre intensiv gearbeitet. Der Erfolg ist also kein Zufall. Dass der Thermomix heute so gefragt ist, ist auch der Digitalisierung zu verdanken. Damit sind wir in der Lage, dem Kunden ein komplettes Ecosystem rund um das Thema Kochen anzubieten.

leitwolf: Können Sie uns dieses Ecosystem erläutern?

RAINER CHRISTIAN GENES: Die Digitalisierung bietet uns am Beispiel des Thermomix viele neue Möglichkeiten, von der Rezeptwelt über die Ernährungsplanung bis hin zur Lebensmittellieferung. Per WLAN können beispielsweise Rezepte aus unserem Online-Rezept-Portal direkt auf das Display des TM5 gesendet und per Guided Cooking-Funktion zur Verfügung gestellt werden. Und warum nicht noch einen Schritt weiter gehen und den Kunden mittags ein tolles Rezept anbieten und abends sind alle erforderlichen Zutaten frisch und mengengenau in einem Paket geliefert? Mit unserer App und Partnern aus dem Bereich der Lebensmittellogistik ist das zukünftig möglich.

leitwolf: Herr Lochmüller, welchen Stellenwert hat die Digitalisierung für Ihr Geschäft?

RALF LOCHMÜLLER: Auch wir als Asset Manager fragen uns, wie wir digitale Innovationen dazu nutzen können, den Mehrwert für unsere Kunden zu erhöhen. Im Industriebereich kann man beobachten, dass dem Anwender sehr viel erleichtert wird und auch komplexe Produkte auf maximale Einfachheit und bequeme Servicepakete zugeschnitten werden. Hier kann die Investmentbranche noch etwas lernen. Zwar müssen wir hochkomplexe Ideen konkretisieren und in brauchbare Anlagekonzepte überführen, doch das schwierige Geschäft der Geldanlage in sich ständig wandelnden Märkten muss nicht den Kunden belasten. Wichtig ist, das eigentliche Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: eine gute risikoadjustierte Performance für den Anleger.

„Bevor andere unser Geschäftsmodell disruptieren, tun wir das lieber selbst.“

leitwolf: Sehen Sie in Ihren jeweiligen Branchen die Gefahr, dass andere Wettbewerber Ihre Geschäftsmodelle disruptieren?

RALF LOCHMÜLLER: Wir sehen in unserer Branche vor allem die Wünsche des Kunden nach maßgeschneiderten Anlagelösungen und vollkommener Transparenz. Das zwingt Vermögensverwalter zu Innovationen. Sie müssen ihre Plattformen aufrüsten, ihre Fähigkeit zur Datenanalyse ausbauen und kundenfreundliche Interfaces entwickeln, um bei dem Thema Convenience nicht den Anschluss zu verlieren. Das heißt, dass man sich ein Stück weit auch zum Technologie-Unternehmen entwickeln muss. Dass die Konkurrenz auch im Asset Management aus ganz anderen Branchen kommen kann, zeigt das Beispiel Alibaba. Der chinesische Internetkonzern hat einen Geldmarktfonds aufgelegt, der in kürzester Zeit 70 Milliarden Euro eingesammelt hat.

RAINER CHRISTIAN GENES: Ich habe heute wenig Bedenken, dass der Thermomix den Rang des innovativsten Küchengeräts an einen Mitbewerber verliert. Die Konkurrenz, die ich fürchte, sind nicht die Hersteller von Küchenmaschinen, sondern Unternehmen, die aus ganz anderen Kompetenzfeldern kommen. Ich denke hier an Amazon, Apple oder Google. Lebensmittelbestellungen online wie via AmazonFresh oder die Rezeptwelten von Apple bieten gute Ansätze, neue Geschäftsmodelle in Verbindung mit einem Kochmixer aufzubauen. Aber bevor andere unser Geschäftsmodell disruptieren, tun wir das lieber selbst. Wir werden deshalb über eigene Innovationen und Kooperationen versuchen, ein End-to-End-Ecosystem mit dem Thermomix aufzubauen, das unseren Kunden einen Mehrwert bietet.

leitwolf: Lassen Sie uns noch näher über Produkte sprechen. Welche weiteren Innovationen haben Sie gerade an den Markt gebracht bzw. in Planung?

Rainer Christian Genes, persönlich haftender Gesellschafter der Vorwerk Gruppe, zeigt Ralf Lochmüller im Werk, wie der Thermomix produziert wird.

RAINER CHRISTIAN GENES: Seit zwei Jahren sind wir mit unserem neuen Geschäftsfeld „Twercs“ im Markt für hochwertige Akku-Werkzeuge aktiv. Neu daran ist der Ladekoffer, in dem die Werkzeuge aufbewahrt und gleichzeitig aufgeladen werden können. Unseren Kobold Saugroboter können Sie via App bequem von unterwegs steuern. Außerdem arbeiten wir derzeit an dem Thema Sprachsteuerung. Die sprachliche Interaktion mit Geräten wird aus meiner Sicht der nächste bedeutende Trend im Rahmen der Digitalisierung sein. Mit weiterer Sensorik versehen kann dann auch der Saugroboter integriert in ein Smart Home zusätzlichen Kundennutzen schaffen.

RALF LOCHMÜLLER: Um bestmögliche Anlageergebnisse für unsere Kunden zu liefern, sind wir ständig auf der Suche nach nachhaltigen und lukrativen Renditequellen – von denen es nur wenige gibt. Eine dieser Renditequellen ist die sogenannte Low Beta-Risikoprämie, die sich beispielsweise in der Outperformance von Low Beta-Aktien zeigt. Diese Risikoprämie haben in letzter Zeit so viele Investoren für sich nutzen wollen, dass der Kauf von Low Beta-Aktien zunehmend teurer geworden ist. Wir haben nun eine Möglichkeit entwickelt, die Quelle der Risikoprämie – die Konvexität des Renditeverhaltens – über den Einsatz von Derivaten nachzubilden, und können damit die negativen Crowding-Effekte umgehen. Die Innovation ist also, an die Renditequelle auf einem völlig anderen Weg heranzukommen.

leitwolf: Wie sorgen Sie dafür, dass Sie mit Ihren Häusern auch in Zukunft innovativ bleiben?

RALF LOCHMÜLLER: Bei Innovationen geht es einerseits darum, bestehende Produkte kontinuierlich zu verbessern, und andererseits darum, ganz neue Produkte zu entwickeln. Dabei verfolgen wir eine radikale Portfolio-Strategie, indem wir neue Ideen ständig hinterfragen: Was passt zu uns und unseren Kunden? Womit können wir wirklich einen Mehrwert erzielen? Wovon sollten wir die Finger lassen? Es klingt vielleicht ungewöhnlich, aber unser Erfolg als aktiver Manager basiert im Wesentlichen auch darauf, dass wir konsequent nein sagen konnten. Nein zu Me-too-Produkten, nein zu zyklischen Produkten und nein zu Strategien in Märkten, die völlig effizient sind und sich besser über passive Ansätze abbilden lassen.

RAINER CHRISTIAN GENES: Wir haben im Laufe der Jahrzehnte auch vieles ausprobiert und wieder verworfen, wie eigene Küchen oder Fertighäuser. Letztlich konzentrieren wir uns aber auf Geräte und Anwendungen für das Zuhause unserer Kunden. Hier wollen wir weiter innovativ sein und stetig wachsen. Dafür haben wir in den letzten Jahren stark in unseren Produktionsstandort in Wuppertal investiert, an dem wir unsere Kobold Produkte und den Thermomix produzieren. Hier werden wir in den nächsten drei Jahren weitere 100 Millionen Euro in ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum sowie in eine neue Motorenfertigung investieren. Zudem werden wir weitere Mitarbeiter für F&E einstellen, insbesondere im Bereich der Softwareentwicklung und der Akku-Technologie.

leitwolf: Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur für Sie?

RALF LOCHMÜLLER: Wir sind als Unternehmen in unseren Strukturen und Prozessen sicherlich gut aufgestellt. Wodurch wir uns in der Branche aber vor allem vom Wettbewerb differenzieren, ist unsere partnerschaftliche Unternehmenskultur. Eine Kultur, die auf Mitarbeiter- und Leistungsorientierung gleichermaßen basiert und die ein Umfeld schafft, in dem kreative Ideen und kritische Fragen willkommen sind. Bei uns haben die Mitarbeiter, beispielsweise im Portfolio-Management, viele Freiheiten bei der Umsetzung ihrer Aufgaben, sie tragen aber auch die Ergebnisverantwortung. Schließlich sind der enge Austausch und interdisziplinäre Prozesse zwischen den Abteilungen wichtig. Die beste Innovation entsteht nun mal in den Köpfen der Mitarbeiter.

RAINER CHRISTIAN GENES: Auch wenn unser Unternehmen eine mehr als 130 Jahre alte Tradition hat, haben wir uns dennoch eine Art „Start-up-Mentalität“ erhalten. Unsere Mitarbeiter identifizieren sich sehr stark mit Vorwerk und den Produkten und haben daher eine hohe Motivation, Produkte und Prozesse kontinuierlich weiter zu verbessern. Gleichzeitig haben wir als Familienunternehmen einen langen Atem. Wir stehen nicht wie börsennotierte Unternehmen unter einem besonderen Druck, quartalsweise berichten zu müssen, sondern können neue Ideen mit der erforderlichen Ruhe und Hartnäckigkeit weiterentwickeln. Und wir beziehen die Feedbacks unserer Kunden in neue Entwicklungen mit ein. Dabei hilft uns natürlich der besondere Zugang zu unseren Kunden, den wir durch unseren langjährigen Direktvertrieb haben.

leitwolf: Stichwort Direktvertrieb – ist dieser in Zeiten der Digitalisierung überhaupt noch zeitgemäß?

RAINER CHRISTIAN GENES: Wir sind heute unbestritten führend im Direktvertrieb mit unterschiedlichen Vertriebssystemen für verschiedene Produkte. Um aber auch Präsenz in den Städten zu zeigen, gibt es seit sechs Jahren unsere Shops. Daneben gewinnen Absatzkanäle wie E-Commerce an Bedeutung. Unsere Vertriebsstrukturen werden also komplexer. Wer sich diesen Herausforderungen nicht stellt, läuft Gefahr, Wachstumschancen ungenutzt zu lassen. Der Kunde entscheidet heute, wie er sich informieren möchte und wo er kauft. Für uns wird aber der personengestützte Direktvertrieb der bedeutendste Absatzkanal bleiben. Denn der Bedarf an kompetenter Beratung wird trotz – oder gerade wegen – der Digitalisierung eher noch zunehmen.

RALF LOCHMÜLLER: Das gilt für unser Geschäft genauso. Robo-Advisors werden zwar auch in der Geldanlage weiter zunehmen, allerdings nur im standardisierten Vermögensverwaltungsbereich. Im institutionellen Asset Management dagegen stehen vor allem komplexe Investmentstrategien im Vordergrund, für die ein spezielles Know-how erforderlich ist. Außerdem spielt die Individualisierung von Anlagestrategien, das sogenannte Customizing, eine große Rolle: Wir entwickeln mit unseren und für unsere Kunden Lösungen, die exakt zu ihren Herausforderungen passen – ob es dabei um ein optionsbasiertes Risiko-Overlay oder ein kundenindividuelles Reporting geht. Auf diese Weise und mit einer überzeugenden Performance wollen wir unsere Kunden zu Fans von Lupus alpha machen. Darin ist Vorwerk mit seiner Thermomix Fangemeinde ein absolutes Vorbild für uns.

leitwolf: Herr Genes, Herr Lochmüller, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Qualitätsarbeit made in Germany

Wer in Zeiten der Digitalisierung wettbewerbsfähig bleiben will, muss innovativ sein. Dies gilt sowohl für Unternehmen aus dem Segment der Haushaltsprodukte als auch aus der Finanzindustrie – wenn auch die Bedingungen jeweils ganz unterschiedlich sind. Den Unterschieden, aber auch den Parallelen gehen Rainer Christian Genes, persönlich haftender Gesellschafter der Vorwerk & Co. KG, und Ralf Lochmüller, Gründungspartner und Sprecher von Lupus alpha, in ihrem Gespräch auf den Grund.

Genes, der aus der Automobilbranche kommt und der Vorwerk Gruppe bereits seit 2007 als Mitglied des Beirats verbunden ist, gehört seit 2015 zur Unternehmensleitung des erfolgreichen Mittelständlers und treibt seitdem die Innovationen von Vorwerk voran. Dafür hat das Unternehmen in den letzten Jahren stark in den Ausbau der Produktionswerke am Firmensitz in Wuppertal investiert. Neben den Kobold Staubsaugern wird hier das Hype-Gerät der Stunde, der Thermomix, gefertigt – mit einer bemerkenswerten Wertschöpfungstiefe „made in Germany“. Für das im Jahre 1883 gegründete Familienunternehmen arbeiten heute mehr als 625.000 Menschen weltweit, davon rund 612.000 als selbstständige Berater.

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